Ihr Konsumerlein kommet

von Kristina Kerber
Lesezeit: 4 min
Winter ist geprägt vom Stehenbleiben. Sobald der erste Schnee den Boden kleidet, bleibt alles stehen. Vor allem die Züge. Ein Weihnachtsspaziergang am Christkindlmarkt lädt zum Sinnieren ein.

Glühwein, Kiachl und Speck. Der Duft von angestautem Schweiß unter dicken Winterjacken. Ein Gefühl von eingeläutetem Weihnachtsstress und sinnbefreiter Besinnlichkeit. Am Punschstand schielt das gescheiterte Tinderdate um die Ecke, in der Crêpe-Schlange wartet die Ex vom Ex, und drei Schritte weiter sieht man seinen Hausarzt rumknutschen. Alle Jahre wieder öffnet der Christkindlmarkt, und somit die winterliche Weihnachtszeit, seine Türen – und ganz Innsbruck rennt hinein.

Über den besten Christkindlmarkt kann gestritten werden – aber gestritten wird zu Weihnachten ohnehin viel. Kaum hat man es geschafft, sich in mehreren Schichten zu verpacken, wie das bald weggeworfene Weihnachtsgeschenk an die Schwiegermutter, kann man sich frohen Gemütes und mit vollem Geldbeutel in die Masse werfen. Die bunt beleuchteten Verkaufsstände zieren die sonst von fahrradfahrenden Studierenden bestückten Flächen Innsbrucks. Fahrradfahrende Studierende gibt es zwar immer noch, aber wenigstens werden sie jetzt zu zahlenden Aushängeschildern für die Tourismusnation Tirol.

Zwar kann dieses Tirol nicht mit fairen Preisen und sonst teils fragwürdiger Fairness punkten, jedoch sieht es schon schön aus, in der alpinen Idylle. Neben Verkaufsständen, die von Klassikern wie Kerzen bis hin zu ironisch-bis-unironisch hässlichen Weihnachtspullovern reichen, gibt es auch Gastronomieangebote, bei denen die Gelegenheitsalkoholikerin gleichermaßen auf ihre Kosten kommt wie der Vegetarier, der veganen Speckersatz verspeisen will. Das Angebot ist überwältigend, ebenso wie die Duftkulisse und die dazugehörigen Preise. Getränke gibt es natürlich mit dem altvertrauten Pfand, der sich dann von Bargeld in eine jahrzehntelang unangetastete Tasse im eigenen Schrank verwandelt.

@Sabina Malik

Weihnachtsstimmung? Wer’s glaubt, wird selig. Beim hell beleuchteten Eingangstor zum Innsbrucker Weihnachtswunderland überkommt einen doch eine gewisse Weihnachtseuphorie. Dicht gefolgt von der beängstigenden Erkenntnis, dass die Zeit vergeht wie das eigene Bargeld und dass es neben anbahnendem Prüfungsstress und Co. an der Zeit ist, wieder Geschenke und Therapiestunden für Familientreffen zu kaufen. Schafft man es dann trotz Rückenschauern, den Christkindlmarkt zu betreten, trifft einen gleich der nächste Schlag – und zwar in den Oberarm, weil ein Typ mit Santa-Mütze es auf einmal besonders eilig hat, sich noch Glühweinnachschlag zu holen. Um einen der wackeligen Tische scharen sich vier Freundinnen mit pommeligen Wollmützen und roten Nasen. Man hört sie lachen, lacht kurz mit und fragt sich dann, ob man vielleicht selbst gerade zum Rudolph geworden ist. Reizüberflutung oder Emotionssurfing, egal wo man hinhört – überall rauschen ineinanderfließende Stimmen ins Ohr, die sich fast anhören wie ein Chor alkoholisierter Engel.

@Sabina Malik

Die Kälte schlägt einem um die Ohren wie die Luftwatschn am Morgen danach. Weihnachten, die Zeit der Besinnlichkeit. Danach, Neujahr, die Zeit des Zu-Sinnen-Kommens und des Über-den Sinn-des-Lebens-Sinnierens. Der Schnee knirscht unter den Schuhen wie die eigenen Zähne und Stille dröhnt in den Gehörgängen wie die mahnenden Worte der Mutter, die eine wärmere Jacke ans Herz gelegt hat. Im eigenen Atem zeichnet sich der Geist des Winters in der Luft ab. Er flüstert von der Magie eines warmen Bettes, von roten Nasenspitzen und spitzfindigen Einfällen für Weihnachtsgeschenke – nicht nur aufgrund des Konsumzwangs, sondern auch der unkommerziellen Freude des Schenkens. Die Welt ist still, zumindest für einen Moment, die Natur hat sich schlafen gelegt und es gibt eine plausible Ausrede, dasselbe zu tun. Frost klopft am Fenster, das neue Jahr stapft mit lauten Schritten durch den Schnee, es wird nicht mehr lange dauern, bis es nichts als Matsch und miese Laune hinterlässt. Aber für diesen Moment, diesen einen Moment des fallenden Schnees darf die Welt kurz zuckrig und süß zugleich sein. 

Beim Verlassen des Weihnachtsmarktes überkommt einen das Gefühl des Aufatmens. Kaum hat man sich Augen und Magen vollgeschlagen, sofern die Geduld für beides gereicht hat, betritt man wieder die reale Welt. Und beim Heimgehen denkt man sich: “Alle Jahre wieder. Aber für dieses Jahr reichts erstmal.”

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