„Irgendwas mit Hochgebirge“

von Cayla Silbermann
Schlagwörter: Lesezeit: 14 min
Irgendwas mit Hochgebirge. Abbildung 2
Dr. Georg Kaser ist Glaziologe, Klimaforscher und Leitautor für die Berichte des Weltklimarats. Wir sprechen mit ihm über seine Forschung, den Klimawandel und dessen mediale Darstellung.

UNIpress: Freuen Sie sich, wenn es draußen kalt ist, so wie heute?

Georg Kaser: Wenn es gleichzeitig auch so schön ist wie heute, dann ist das einfach fein, ja.

UP: Hat das Interesse an den Gletschern durch das Bergsteigen begonnen oder wo rührt das her?

Kaser: Ja, ich war ein sehr passionierter Bergsteiger und aus der unglücklichen Situation einer Matura heraus, die eigentlich eine technische Matura war und mich nicht wirklich interessiert hat, ist dann der Studienweg einmal begonnen worden. Irgendwas mit Hochgebirge…. Durch die verschiedenen Innsbrucker Institute und Vorlesungen wandernd bin ich dann auf der Meteorologie gelandet, habe das dann studiert und letztendlich auch meine Dissertation in einer gletscherkundigen Arbeit bestritten. In Innsbruck ist eine von zwei Universitäten weltweit, wo die Glaziologie innerhalb der Atmosphärenwissenschaften betrieben wird. Das heißt, dass wir uns mit der Grenzschicht zwischen Schnee und Atmosphäre beschäftigen und wie die beiden gekoppelt sind.

UP: Ist die Gletscherforschung das Ziel Ihrer Wanderung gewesen, sozusagen das Gipfelkreuz?

Kaser: (Lacht) Naja, das ist jetzt eine Gewissensfrage. Das Gipfelkreuz hatte mich nie interessiert, immer sozusagen der Weg. Wir sind ja damals auch im Fahrwasser von Reinhold Messner unterwegs gewesen und da war das Gipfelkreuz sowieso verpönt und wenn, dann war es der Weg, der das Ziel ist. Das hat er so formuliert. So ist es auch uns gegangen, uns jungen Bergsteigern damals. Aber auch das hat sich dann durch die Mitarbeit bei Feldarbeiten und durch das Hineinwachsen in die Forschungsarbeiten graduell verschoben und irgendwann war dann schon das Messen und das Sammeln von Daten das Ziel. Aber wenn man nebenbei noch schnell mit Langlaufskiern auf die Weißkugel laufen konnte, dann war das schon schön.


Irgendwas mit Hochgebirge. Abbildung 1

©Sofie Hofer

Univ.-Prof. Dr. Georg Kaser

Georg Kaser ist Professor am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenforschung der Universität Innsbruck. Er gilt als einer der bedeutensten Klimaforscher weltweit und ist seit 2003 Lead Author für den Bericht des Weltklimarats (IPCC).


UP: Was fasziniert Sie am meisten an der Thematik?

Kaser: Mich haben immer die Prozesse fasziniert, nicht ob der Gletscher größer oder kleiner wird, sondern warum er das tut. Ich war damals auch irgendwie zufrieden damit, über irgendetwas zu forschen, was mir Spaß macht. Irgendwann nach meiner Dissertation traf ich die klare Entscheidung, Wissenschaftler zu werden. Ich wollte es ordentlich und gründlich machen und sehr viel mehr reinstecken, als nur beim Bergsteigen ein paar Messungen zu machen. Es gab dann eine relativ dringliche Anfrage von peruanischen Glaziologen und man hat mir gesagt: „Du warst schon zweimal dort zum Bergsteigen, also fahr hin und schau dir das an. Das war mein erster Schritt in die Tropen.

UP: Wie lange waren Sie in den Anden?

Kaser: 1988 war ich sozusagen im Auftrag der Universität als Forscher dort. Da sind dann die ersten Forschungsprojekte entstanden. Das erste Projekt wurde genehmigt, aber ich musste es zurückgeben, weil diese Terrorgeschichten des Sendero Luminoso in das Forschungsgebiet übergegriffen hatten. Deshalb haben uns die peruanischen Kollegen geraten, nicht hinzukommen. Dieses Projekt musste ich damals dann an den FWF, den österreichischen Wissenschaftsfond, zurückgeben. Ich hatte ein wunderschönes genehmigtes Projekt und ich konnte keinen Cent dafür ausgeben. Das hat dazu geführt, dass wir uns zuerst in Ostafrika umgeschaut haben, weil wir schon Hypothesen und Themen formuliert hatten, die sich speziell auf tropische Bedingungen bezogen hatten. Dann bin ich am Ruwenzori gelandet. Da sind wir mit den Restbeständen der ugandischen Terrorherrschaften von Idi Amin und Milton Obote und mit dem Konflikt mit Kongo in Berührung gekommen. Wir konnten nicht wirklich ein Forschungsprojekt beginnen, weil es zu unsicher war. Man wollte mal einen Mitarbeiter von mir einsperren und wir haben viele Stunden verhandelt, damit das nicht passiert. Das war schon eine sehr brenzlige Situation.

Später habe ich dann ein Projekt nach dem anderen in der Cordillera Blanca in Peru machen können. Danach hat es eine journalistische Anfrage von der New York Times und von National Geographic gegeben, weshalb ich direkt von Peru zum Kilimanjaro nach Afrika gefahren bin. Wir sind dann mit den Journalisten hinaufgegangen und die haben viele Fragen gestellt.

Wir haben dort auf fast 6.000 Metern Höhe Skizzen in die Asche gezeichnet und Hypothesen erstellt.

Als ich zurückgekommen bin, habe ich einen Projektantrag an den österreichischen Fonds zur Förderung Wissenschaftlicher Forschung gestellt, der genehmigt wurde. Wir haben heute noch Stationen dort stehen. Die Grunderkenntnis unserer Forschung dort war, dass es vielleicht der einzige Gletscher weltweit ist, an dem wir keinen anthropogenen Klimawandel ablesen können. Das hat dazu geführt, dass man mich 2003 zum Weltklimarat (IPCC) eingeladen hat.

UP: Weiß man auch warum es sich beim Kilimanjaro so verhält?

Kaser: Wir haben dort keine positiven Temperaturen. Es ist eine sehr trockene und windstille Gegend. Das heißt, dass es auch bei bis zu -12 Grad Celsius Schmelzprozesse geben kann, wenn die Sonne stark genug ist und kein Wind weht. Dann hat die Eisfläche null Grad Celsius und schmilzt. Das sieht man an den typischen Eiskerzen. Sobald das schmelzende Eis ein paar Millimeter weiter mit Luft, die bis zu -10 Grad hat, in Berührung kommt, gefriert es wieder. Solche Prozesse und Subliminationsprozesse sind am Kilimanjaro dominierend. Verdunstung geht bei null Grad fast genauso wie bei -10 Grad oder sogar bei -30 Grad. Es braucht nur einen Dampfdruckgradienten, also einen Trockenheits- oder Feuchtigkeitsunterschied zwischen Eisoberfläche und Umgebungsluft. Am Kilimanjaro gibt es Trocken- und Feuchtzeiten, die mit der Sonne zusammenhängen. Dazu kommt auch noch Vulkanismus, der zur Fumarolentätigkeit [Fumarole sind vulkanische Dampfaustrittstellen] führt. Da entstehen Hotspots, die Löcher im Gelände bilden, was wiederum Dome von unten ins Eis hineinformt. Wir haben dann erkannt, dass dies Prozesse sind, die nichts mit dem anthropogenen Klimawandel zu tun haben, sondern für den Ort einfach typisch sind.

Die Frage lautete nicht, warum die Gletscher dort weggehen, sondern wie sie je da hinaufgekommen sind. Man hat an den Klimamodellen erkannt, dass es immer wieder Phasen gibt, die vom Niederschlag her günstig sind. Eine solche Feuchtzeit mit außergewöhnlich viel Niederschlag haben wir um den Jahreswechsel 2006-2007 miterlebt. Zu dieser Zeit gab es keine Besteigungen und wir waren dann nach vielen Wochen die ersten, die hinaufgegangen sind. Da lag bis zu einem Meter Schnee. Bein normalem Schneefall von 10 bis 20 Zentimetern pro Feuchtzeit scheint die Sonne durch den Schnee durch und erwärmt die darunter liegenden dunklen Aschen. So schmilzt der Schnee von unten innerhalb einiger Tage oder Wochen. Wenn aber so viel Schnee liegt wie Anfang 2007, dann scheint die Sonne nicht mehr durch. Dies verhindert, dass dieser hocheffiziente Umweg der Erwärmung von unten in Bewegung gesetzt wird und der Schnee bleibt liegen und Reste dieser Schneedecke waren noch über ein Jahr nachher vorhanden. Wenn mit jeder Regenzeit wieder so viel Niederschlag fällt, dann wird relativ schnell eine Höhe von 20 Metern erreicht. Es braucht nur eine Phase erhöhter Niederschläge, die aus den Anomalien der Meeresströmungen im indischen Ozean hervorgeht. Da gibt es Phasen, die ganz natürlich in der internen Variabilität des Systems sind, welche feuchtere Luft nach Ostafrika bringen. Sowas dürfte es alle paar hundert Jahre geben, das letzte Mal um die 1830er Jahre herum.

UP: Sie haben also in vielen Gebieten geforscht, sind aber auch fasziniert von den hiesigen Gletschern. Würden Sie sagen, dass Sie deshalb wieder zurückgekehrt sind?

Kaser: Wir sind in die Heimat zurückgekehrt, weil wir detailliertere Prozesse anschauen mussten und es ist völlig sinnlos, das in 5.000 oder 6.000 Metern Höhe zu machen. Wir mussten die Forschung in eine Laborsituation zurückzubringen. Und dann haben wir gesagt: „Naja, wir sitzen ja auf den Labors.“ Unser Hintereisferner ist das Labor der Innsbrucker Gletscherforschung und seit 1975 gibt es nebenan ein Gletscherskigebiet, das uns unmittelbar dorthin bringt. Wir haben sogar eine Stromleitung zum Gletscherrand. In der Zwischenzeit haben wir dort ein Labor aufgebaut, das weltweit einzigartig ist. Der Grund für die Rückkehr ins „Labor“ war also keine Reisemüdigkeit, sondern einfach der nächste wissenschaftliche Schritt.

UP: Können Sie erklären, worum es beim IPCC geht?

Kaser: Das IPCC ist das Intergovernmental Panel on Climate Change, welches aus 196 nationalstaatlichen Regierungen besteht. Diese haben sich im Jahre 1988 zusammengeschlossen und Wissenschaftler weltweit beauftragt, einen Sachstandsbericht abzuliefern. Da verhält es sich so ähnlich, wie wenn ein Gemeinderat irgendeine Idee oder ein Problem hat und keiner von den Gemeinderatsmitgliedern sich wirklich damit auskennt. Dann sagt der Gemeinderat: „Naja, dann müssen wir eben eine fachliche Expertise einholen.“ Die Entscheidung bleibt dann aber im Gemeinderat und so ist es auch beim IPCC. Die Frage dabei war, wie es mit unserem Klima ausschaut, wie es sich verändern wird, welche Zukunft wir haben werden. Zwei Jahre später war der erste Bericht fertig und verursachte viel Bewegung weltweit. Es sind dann Berichtzyklen entstanden, wobei die Wissenschaftler immer wieder gesagt haben: „Wir haben euch eh schon alles gesagt. Lasst uns wieder in Ruhe forschen.“ Und die Regierungen haben immer geantwortet: „Nein, bitte macht wieder einen Bericht. Wir wissen da noch nicht genug.“

Das IPCC besteht aus drei Arbeitsgruppen. Einmal eine, die sich mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen beschäftigt und eine zweite, die sich mit den Auswirkungen auf unterschiedliche Systeme befasst. Die dritte Gruppe beschäftigt sich mit “Mitigation”, also mit dem, was wir auf Deutsch so eigenartig als Klimaschutz bezeichnen. Es werden dann Wissenschaftler aus aller Welt eingeladen, meistens an die 200 pro Arbeitsgruppe, die zusammen den Bericht schreiben. Momentan befinden wir uns im sechsten Berichtzyklus. Aber es ging immer nur darum, den Wissensstand darzustellen.

UP: Lenkt die Politik auch ein?

Kaser: Wenn die Berichte entstehen, müssen sie einen Begutachtungszyklus durchlaufen und am Ende gibt es eine Runde, wo nur mehr die Regierungsvertreter begutachten. Dann wird die Sache in die Schlussverhandlung gebracht und dort geht es darum, dass die sogenannte „Summary for Policymakers“ verhandelt wird. Hier sehen viele Leute eine Beeinflussung durch die Politik. Die mag schon da und dort ein bisschen passieren, besonders in der Arbeitsgruppe Klimaschutz und in der Arbeitsgruppe Impact. Aber was wollen sie in der physikalischen Gruppe groß beeinflussen?

Es ist zum Beispiel einmal darum gegangen, dass die großen tropischen Stauseen Methangas emittieren. Da hat es eigentlich nur eine Messung an einem brasilianische Stauseen gegeben. Die brasilianische Regierungsvertreterin, eine Wissenschaftlerin und Administratorin, hat gesagt: „Das könnt ihr hineinschreiben, aber ihr könnt nicht hineinschreiben, dass dort Brasilien das Beispiel ist, weil dann scheint es so, als hätten nur wir ein Problem damit.“ Aber wir hatten halt nur diese eine Evidenz und am Ende haben die anderen Regierungsvertreter das mit Brasilien ausverhandelt. Das war eine sehr gute Verhandlerin, ganz eine starke Frau. Sie hat knallhart gekämpft, aber irgendwie um das Falsche.

UP: Worüber wird heutzutage gestritten und diskutiert?

Kaser: Über ähnliche Geschichten. Da stehen dann Länderschilder, wo zum Beispiel „Saudia-Arabia“ draufsteht, wie bei den klassischen UN-Verhandlungen. Der Chairman sagt dann: „Please, Saudi-Arabia.“ Und da kommt das Lob für das Verhandlungsteam und das Lob für das Schreibteam, aber dann kommt die Aussage: “It’s a beautiful report and I agree, but… my minister would not understand this sentence”. Das heißt: Dieser Satz muss heraus! Und dann gehen die Diskussionen los.

UP: Wie geht man mit möglichen Kommunikationsproblemen zwischen Leuten aus verschiedenen Wissenschaftgebieten um?

Kaser: Das ist eine heikle Geschichte. Da gibt es immer wieder Gespräche darüber, wie zum Beispiel die Begriffe „Global South“ oder „Third World“ definiert werden sollen. Sowas gibt es immer wieder. Aber wir arbeiten konstruktiv und das schätze ich auch so sehr an der Arbeit im IPCC. Da ist kein Konkurrenzkampf. Auf Tagungen sagt man: “Halt, das darf ich nicht alles erzählen, weil die würden mir das abschauen” Im IPCC gibt es das nicht. Dort herrscht eine andere Stimmung. Man will diese Probleme zusammen lösen und dadurch kommt eine Dynamik auf, die rein menschlich wertvoll ist. Das Endprodukt spiegelt das auch wider.

Am Ende ist das Problem jenes, dass es in manchen Fachbereichen und an manchen Schnittstellen nicht genügend wissenschaftliche Evidenz gibt. Das Problem liegt eher hier und nicht so sehr an den Definitionsunterschieden. Die Naturwissenschaften haben sich seit etwa 150 Jahren auf sehr hohem Niveau mit Klimaphysik beschäftigt. Die Impact-Wissenschaftler arbeiten jetzt vielleicht seit dreißig oder vierzig Jahren, die Gesellschaftswissenschaftler sind erst vor ungefähr zehn bis fünfzehn Jahren in dieser Vehemenz in die ganze Diskussion hineingekommen. Und da sind sehr unterschiedliche wissenschaftliche Kulturen entstanden. Etwas naturwissenschaftlich zu messen und zu sagen: “Ja, das ist so und so” ist leichter als gesellschaftswissenschaftliche Maßzahlen zu finden. Ich glaube, am Ende kommt immer wieder das Bestmögliche heraus, aber der Weg dorthin ist nicht ganz so einfach, wie wenn die nur Naturwissenschaftler an einem Bericht arbeiten würden.

UP: Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung des Projektes IPCC?

Kaser: Ja, das ist schon etwas, was auf allerhöchstem Niveau passiert, was einfach notwendig war, was gut gemacht worden ist, was ich anderen Wissenschaftsbereichen auch wünschen würde, weil es auch um die Rigorosität des Umgangs mit wissenschaftlichen Ergebnissen geht. Im Bereich der Klimaforschung ist diese sehr intensiv und prägend geworden und dies vermisse ich bei anderen Wissenschaftszweigen. Und die andere Frage ist natürlich, ob es jetzt etwas bewirkt hat, ob es einen Einfluss hatte. Da kann man nur sagen:

Wir haben euch vor vierzig Jahren alles gesagt. Jetzt schreit nicht Zeter und Mordio. Tut endlich etwas.

Wir haben euch gesagt, dass man damit umgehen kann, aber es bedarf ganz großer Anstrengungen. An jedem Tag, den ihr zuwartet, wird es noch dramatischer werden. Wir sind mittlerweile schon mittendrin in dem Klimawandel, den wir vor 40 Jahren vorhergesagt hatten. Es ist alles eingetreten, einiges schneller und stärker, als wir es uns damals erlaubt haben, zu sagen.

UP: Liegt es schlussendlich an jedem und jeder Einzelnen oder ist der Kampf gegen den Klimawandel eine globalpolitische Frage?

Kaser: Das Ziel ist ganz klar. Es muss bis 2050 oder möglichst schneller, in den nächsten Jahrzehnten, eine Netto-Null an CO2-Emissionen und Methan- und Stickstoffverbindungsemissionen geben. Netto-Null heißt, dass ich etwas emittieren kann, wenn ich gleichzeitig etwas negativ emittiere. Da setzt man sehr stark auf biotechnische Maßnahmen. Und wenn ich das als Ziel habe, dann erübrigt sich die Frage, ob jeder und jede Einzelne oder die Weltengemeinschaft etwas tun muss, weil alle müssen. Es braucht meines Erachtens eine kritische Masse von Einzelnen, die das möglicherweise schon für sich leben und Druck auf die politischen Entscheidungsträger machen. Damit meine ich nicht nur die Politik, sondern vor allem auch die großen Konzerne.

UP: Ist es auch die Aufgabe der Medien, sich für den Klimaschutz einzusetzen?

Kaser: Die Medien spielen natürlich eine ganz wesentliche Rolle. Sie waren lange Zeit Verursacher eines Problems, aber aus einem nachvollziehbaren Grund. Und zwar haben die Journalisten sehr lange nicht eingesehen, dass der Grundsatz des Journalismus, zu jeder Darstellung eine Gegendarstellung zu zeigen, bei diesen Themen kontraproduktiv ist. Wir Wissenschaftler machen das eh schon permanent. Wenn Sie ein Paper publizieren, dann werden drei andere sagen: “Schauen wir mal, ob seine Messungen und Schlüsse richtig sind.“ Erst wenn etwas in etwa fünf Jahre Bestand hat, kann man sagen: „Das ist jetzt die gemeinsame Erkenntnis.“ Dann wird weiterdiskutiert. Der Kreis wird größer. Und irgendwann kommt man zu einer Art Konsens. Und wenn wir und zwanzig andere mit diesem Konsens hinausgehen, Dann brauche ich nicht noch einen Journalisten, der sagt: „Ich hol mir noch jemanden, der eine Gegenposition hat, weil das spannend ist und weil ich das so gelernt habe.“

Vor etwa sieben oder acht Jahren, hat als erstes jemand, ich glaube es war die Los Angeles Times, gesagt: “Wir haben es jetzt verstanden. Wir lassen diese Gegenpositionen nicht mehr zu.” Da sind dann gleich The Observer und The Guardian aufgesprungen und sie sind heute noch die Avantgarde bei dieser Klimavermittlungsgeschichte. Ich bin da aber vorsichtig, weil ich glaube, dass in allernächster Zeit wieder eine massive Gegenbewegung kommen wird.

UP: Wie gehen Sie mit Leuten um, die dem Klimawandel skeptisch gegenüberstehen? Damit werden Sie sicher auch konfrontiert.

Kaser: Oh ja! Also skeptisch sind wir selbst genug. Da braucht es nicht noch Skeptiker. Wenn sie es leugnen wollen, dann sind sie Leugner, aber keine Skeptiker. Eigentlich bin ich der Meinung, dass wir nicht mehr die Zeit und die Energie haben, uns dem hinzugeben. Wenn es irgendwie geht, ignoriere ich das Ganze und so machen es die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen. Allerdings haben die Leugner auch die Taktik geändert. Ich habe gerade einen Fall am Laufen, wo mich jemand sehr harmlos etwas gefragt hat. Er meinte: “Ja, ganz toll, was Sie da machen, aber ich habe jetzt da etwas gelesen, wo Sie zitiert werden. Stimmt das überhaupt so?” Und er zeigt mir eine Stelle aus irgendeiner indischen Webzeitung oder so. Und ich schreibe relativ locker zurück: “Ja, das Zitat stammt von mir, allerdings nur gesprochen, nie geschrieben, aber nie in dem Kontext. Das ist in einem völlig anderen Kontext gewesen.“ Da vergehen zwei Monate und dann schreibt er mir eine fünf Seiten lange Frageliste, wo mir schon alles klar wurde. Also mein Tipp war: Zivilingenieur in Pension, männlich natürlich, um die sechzig oder siebzig herum. Das ist so die klassische Leugnerkategorie. Wir kennen sie ja. Aber im Prinzip: Nein, ich lasse mich nicht mehr drauf ein.

Der Klimawandel passiert. Wer es nicht begreifen will, soll es einfach lassen.

Man sollte lieber die Leute stärken, die das begriffen haben, die sehr authentisch sagen: “Es ist unsere Zukunft.” Denen sollte man Mut geben, sie unterstützen und sagen: “Macht weiter, macht weiter, macht weiter. Ihr seid sozusagen fast die letzte Chance.” Es gibt sehr viel Bewegung, viele große Konzerne haben bereits umgestellt. Die US-amerikanischen Universitäten haben das auch seit langem schon gemacht und die sind ja große Wirtschaftsbetriebe, im Gegensatz zu uns Hungerleidern. Also ja, man sollte da die Zeit hineinstecken und sagen: “Tut was, es lohnt sich, schaut die Zahlen an. Ihr habt Recht.“

UP: Vielen Dank für das Gespräch.

(Gespräch vom 21. Jänner 2020)

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