In der Sporthalle bereits nach den ersten paar Sekunden bei den Planks heißt es (für mich zumindest nur mehr krampfhaft) durchzuhalten; dies ebenso für meine Freundin, die acht Stunden ohne eine Sitzgelegenheit hinter der Theke mit zwanghaft strahlender Miene sauer Zitroneneis vergibt sowie sicher für viele Studierende in der Prüfungszeit. Durchzuhalten gilt es wohl in allen möglichen Situationen: ob beim Lösen aus ungesunden Beziehungen; beim „Absitzen“ der (erst!) 47. Proseminarminute oder während der Zugfahrt nach Hause mit hungrigem Magen. Man kann demnach die Tatsache, dass das titelgebende Wort im Duden als „starkes Verb“ markiert ist, wohl als lustigen Zufall abtun; ich nutze die Gelegenheit, um sogleich zu unterstreichen, worum es im Folgenden eigentlich geht: Ums Durchhalten und (damit Hand in Hand) das Starksein.
Als ich in der zweiten Unterstufe Gymnasium im Soziales-Lernen-Unterricht saß, bekamen meine Schulkollegen und ich gleich zu Beginn eine spezielle Formel eingetrichtert, die sich – zumindest bei mir – bist heute in mein Gedächtnis eingebrannt hat: Erfolg = Wille + Geduld. Unglaublich banal, ziemlich plausibel; für mich gab es dazumal jedoch sogar so etwas wie einen kleinen Aha-Effekt. Den Erfolg lassen wir erstmals außen vor; so hat jeder seine eigene Definition von „Erfolg haben“ selbst zu finden; denn die eine goldige Erfolgsvision, deren Realisierung einen auf dem Gipfel des Berges, der die Note, der Schlüssel zu einer ganzen Symphonie ist, wiederfinden lässt, die gibt es (meiner philosophisch betonten Meinung nach) nicht. Widmen wir uns also lieber dem zweiten Teil der Gleichung und demnach den Begrifflichkeiten Wille und Geduld, die für mich im gemeinsamen Zusammenspiel formell haargenau das Durchhalten umschreiben wie der Zopf den Pferdeschwanz.
Doch materiell? Das 1+1 sei in der Regel ja schnell gelernt. Doch bei den Ableitungen da hadert’s dann. Ein Tipp:
Deduktiv denken
Ist es das konstante Lernen deines absoluten Nicht-Lieblingsthemas, das dir oft jeden Tag aufs Neue recht viel abverlangt? Sind es deine schmerzenden Gliedmaßen, die nur mehr krampfen unter der Stimme des motivierten Jungtrainers, der dir beim ersten Personalcoaching mit hervortretenden Gesichtsadern zuschreit: „SCHNELLER!“? Oder ist es allgemein gesehen gar einfach dieses Durchhalten an sich? Diese eine eigene, innere Stimme, die dich nicht aufgeben lassen will; dem „Erfolg“ näher.
Erfolg – eine Ansichtssache
Fühltest du dich von ihr nach dem antik olympischen Motto „Citius, altius, fortius“ („Schneller, höher, stärker“) geleitet oder gar getrieben, so getraue ich mir dir anzuraten, deine Vision von Erfolg nochmals bewusst zu konkretisieren versuchen. Denn nicht ganz ausgeschlossen ist dabei, dass dir eher die Stimme unserer „Optimierungsgesellschaft“ ins Ohr flüstert, als du glaubst, deine eigene zu vernehmen.
Jene erachtet auch grundsätzlich Titel und Auszeichnungen für erbrachte Leistungen beziehungsweise angesehene berufliche Positionen (meist jene, in welchen man das meiste Geld verdient trotz geringer „Nützlichkeit für die Allgemeinheit“) unglücklicherweise – trotz starker gegenteiliger Tendenzen – noch immer als besser, wertvoller, und deshalb anerkannter an, als das bei Tätigkeiten der Fall ist, die das Herz und die Seele manch Ausführenden entflammen, die Nerven auch noch heil und einen gut schlafen lassen. Deren Wert also nicht primär die gebotene Bezahlung bestimmt, sondern die schlicht eigene Freude an der Ausführung der Beschäftigung. Dabei gibt es natürlich keine klar gesteckten Grenzen und die Übergänge sind fließend und verschwommen; ich erachte jedoch das lebhafte Gefühl der Freude und des eigenen Glücks als gesündesten Anspruch, erfolgreich zu sein, und so hoch wie den Polarstern am Himmel, der einen zielvorgebend aus dunkler Unentschlossenheit führen kann.
Doch wie man sich beim Treffen seiner – mal mehr mal weniger – lebensbeeinflussenden Entscheidungen auch orientieren mag: Erfolgreich in welchem Sinn auch immer wird man wohl erst dann, wenn man den Willen sowie die Geduld aufbringt, einen Weg einzuschlagen, der einen zum Ziel bringt. Es gilt also durchzuhalten. Denn Aufgeben, das ist ja bekanntlich nur was für Loser.
Oder?
Fragte man mich nach meiner Meinung, so fände ich einen vermeintlichen „Loser“, der ein Liedchen trällernd mich beim Vorbeigehen anlächelt, auf Anhieb bewundernswerter als den chronischen Overachiever von nebenan, dessen Instagram Story mir im 10-Minutentakt einen Einblick in seine beziehungsweise ihre außergewöhnlich privilegierten Lebensgeschehnisse gestattet.
Ein Versager in den Augen anderer Menschen zu sein, bedeutet aus deren Sicht, gescheitert zu sein, nichts Erstrebenswertes errungen zu haben. Doch wie bereits oben angemerkt, so kreiert ein jeder (im besten Fall) seine eigene Überzeugung davon, was Erfolg denn überhaupt ist, nach eigenem Gesetz. Tut man dies nicht, so hängt man höchstwahrscheinlich den Erwartungen und Überzeugungen anderer hinsichtlich eines erstrebenswerten Lebens nach. Ein dünnes Eis (der Illusion), auf das man sich da begibt, denn wechseln die Zeiten, so taut jenes bald auf und man fällt ins kalte Wasser (der Realität).
Wirklich erstrebenswert ist demnach nur ein solcher Zustand, der einem erlaubt, unabhängig von äußeren, veränderlichen Zuständen seinen Seelenfrieden und damit einhergehend auch seine Glückseligkeit zu bewahren. Er ist erreichbar, indem man nicht unbedingt hoch geschätzte und anerkannte Errungenschaften anderer als Maßstab für das eigene Gelten heranzieht, sondern sich beispielsweise mit seinem gestrigen Ich vergleicht und sich lediglich an diesem zu messen versucht. Von außerordentlicher Wichtigkeit sei außerdem die Fähigkeit, in sich hineinhören zu können und sich im Klaren darüber zu sein, was man denn wirklich will. Dies ist oft gar nicht so einfach. Denn viele Optionen bieten sich uns meist in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Dennoch gilt: Um eine Entscheidung authentisch treffen zu können – egal wie klein sie auch sein mag – gilt es, Verantwortung zu übernehmen; vorrangig für sich selbst.
Hoch lebe das Losertum
Soweit die eigene Definition des Aufgebens für einen selbst einen so süßen Beigeschmack hat wie die Zuckerwatte vom Oktoberfest, also man sich heute mal erlaubt, trotz abgebrochener Sporteinheit lächelnd die Sporthalle zu verlassen, (ohne einen Kratzer am Selbstwert zu hinterlassen) so ist für einen selbst – wenn auch nicht für den Coach ohne Stimme – alles in Butter. Sich hin und wieder mal seinem Losertum zu ergeben, ist etwas, das gar mehr Mut erfordert als das Durchhalten. Dafür sollte man beinahe neben der bereits durch das aufgegebene Durchhalten gesteigerten Eudämonie noch einmal belohnt werden. Eine paradoxe Win-Win-Situation.