Das Lernen lernen

von Katharina Isser
Lesezeit: 7 min
Studygram, Studytok, Studyblr – im Internet wimmelt es nur so von Content, der Studierenden und Schüler:innen das Lernen erleichtern will. Was ist dran an den Empfehlungen und was sagt der aktuelle Forschungsstand?

Man stelle sich vor: Es ist 16 Uhr an einem Samstag. Eigentlich sollte man ja lernen, aber eigentlich hat man dazu gerade auch gar keine Lust. Stattdessen ist es viel verlockender, sich dem Bedürfnis nach sofortiger Befriedigung – instant gratification – hinzugeben und durch die TikTok For-You-Page zu scrollen. Auf einmal wird einem die eigene Prokrastination schmerzhaft bewusst: Man stolpert über einen Livestream, der mit „study with me“ betitelt wird, oder über ein Video, das einem erklärt, wieso seine Notizen noch einmal zu schreiben und zusammenzufassen extrem ineffizient sei. („You guys have notes?“, denkt man sich.) Vielleicht motiviert einen das, jetzt doch anzufangen; vielleicht lässt es einen in einem Anflug von Vermeidungsverhalten einfach ganz schnell weiterscrollen; oder vielleicht versinkt man nun in der Ecke von TikTok, die sich mit dem klingenden Namen Studytok bezeichnet und einem helfen soll, ab nun nur mehr Einser zu schreiben.

Bei einem genaueren Blick in die Lernecken der sozialen Medien wie Studytok stellt man vor allem eines fest: Es wimmelt nur so von oberflächlichen Empfehlungen wie „lerne nicht zehn Stunden am Stück durch“ (okay, kein Problem) und Promotions. Letztere sind meist entweder Werbung für die eigene Seite (sie sollen vermutlich auf den Explore-Pages der User:innen landen und sie zum Aufruf der Kanäle bewegen) oder Werbung für Lern-Software, die einem ermöglichen soll, seine Notizen besonders schön zu verfassen. Man muss mitunter einige Zeit scrollen, bis man tatsächliche „Hacks“ findet. Hier stechen besonders einige wenige Techniken ins Auge: Die Feynman-Technik, das Leitner-System, die Pomodoro-Technik und das Lernen nach Lerntypologien. Die Ausweitung der Recherche auf das Internet führt noch zur SQ3R- und der ähnlich klingenden SOAR-Methode. Die Wirksamkeit dieser Methoden variiert.

Feynman-Technik

Der Namensgeber dieser Methode, Richard Feynman, war ein Physiker und dafür bekannt, sehr komplexe Sachverhalte sehr verständlich erklären zu können. Dementsprechend fußt die Feynman-Technik darauf, dass man Lerninhalte schriftlich oder mündlich zu erklären versucht, ohne währenddessen seine Notizen zurate zu ziehen. Danach verrät ein Blick in die Unterlagen, welche Punkte unvollständig oder falsch erklärt oder sogar ganz vergessen wurden. Die Erklärung wird nun korrigiert und um die fehlenden Punkte ergänzt sowie vereinfacht, wenn bestimmte Stellen zu kompliziert formuliert wurden. Groß angelegte empirische Untersuchungen zu dieser Methode gibt es kaum. Laut Einzelberichten eignet sie sich gut dafür, das eigene Verständnis eines Themas zu überprüfen, trägt allerdings weniger zum Erlernen neuer Inhalte bei.

Leitner-System

Bei dieser Methode werden Karteikarten verschiedenen Boxen zugeordnet. Je nach Box wird die Karteikarte unterschiedlich oft gelernt beziehungsweise wiederholt. Ein Beispiel: Karten aus Box 1 werden jeden Tag, Karten aus Box 2 jeden dritten und Karten aus Box 3 einmal pro Woche wiederholt. Wenn man eine Karte gut beherrscht, kommt sie eine Box weiter; kann man sich an die Antwort für eine bestimmte Karteikarte nicht mehr erinnern, wird sie herabgestuft und kommt zurück in die erste Box. Diese Methode gehört zur Spaced Repetition, bei welcher Lerninhalte immer wieder wiederholt werden, wobei der Abstand zwischen den Wiederholungen größer werden soll. Eine Untersuchung von Karpicke und Bauernschmidt (2011) zur Spaced Repetition zeigte den Vorteil von Wiederholungen mit (im Idealfall großen) zeitlichen Abständen, konnte allerdings keinen Unterschied bezüglich gleichbleibender, größer oder kleiner werdender Abstände feststellen.

Pomodoro-Technik

Diese Methode, nach der tomatenförmigen Küchenuhr ihres italienischen Erfinders benannt, sieht abwechselnd Arbeitsintervalle von 25 Minuten und Pausen von 5 Minuten vor. Wurde dieser Prozess einige Male durchlaufen, ist eine längere Pause an der Reihe. So soll die Produktivität erhöht und das Arbeiten erleichtert werden. Über die Arbeits- bzw. Lernmethode, die in den Arbeitsintervallen angewendet werden, schreibt diese Technik nichts vor. Sie dient also eher der Produktivitätssteigerung als direkt der Leistungsverbesserung. Die Effektivität der Pomodoro-Technik scheint stärker als andere Methoden personenabhängig zu sein und mit der persönlich bevorzugten Arbeitsweise zusammenhängen.

Bild: pixabay

Lernen nach Lerntypen

Die Einteilung von Menschen in verschiedene Lerntypen wie beispielsweise visuell, auditiv, haptisch und kognitiv (Lerntypologie nach Vester), nach denen die Lernmethode dann ausgerichtet werden soll, konnte sich wissenschaftlich nicht behaupten. Davon zu unterscheiden sind individuelle Lernstile, die mit persönlichen Präferenzen beim Lernen zusammenhängen und in der Realität durchaus festzustellen sind. Sie variieren jedoch sehr stark von Mensch zu Mensch; es lassen sich nicht einige wenige Typen generalisieren.

SQ3R (survey, question, read, recite, review)

Bei der SQ3R-Methode verschafft man sich zuerst einen Überblick darüber, was gleich gelernt werden soll (‘survey’). Anschließend überlegt man sich, was man herausfinden will, und formuliert Fragen an das Lernmaterial (‘question’). Im dritten Schritt wird der Text gelesen (‘read’), im vierten werden die Fragen beantwortet (‘recite’) und im letzten blickt man auf das zurück, was gerade erlernt wurde (‘review’). Trotz ihrer relativen Prominenz steht diese Methode auf empirisch wackligen Füßen – mehrere Studien konnten keinen positiven Zusammenhang zwischen der SQ3R-Methode und besserer akademischen Leistung finden. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Methode sehr zeitintensiv ist.

SOAR (select, organize, associate, regulate)

Hierbei werden zuerst wichtige Punkte selektiert (‘select’) und notiert (beispielsweise in Form einer Vorlesungsmitschrift). Dann werden diese Punkte graphisch organisiert (‘organize’) und Verbindungen zwischen ihnen hergestellt (‘associate’). Im letzten Schritt, dem Regulierungsprozess, wird das Gelernte auf einen Übungstest angewendet. Eine Studie von Jairam et al. (2014) attestiert der SOAR-Methode wesentlich bessere Ergebnisse als der SQ3R-Methode: Bei Studierenden, die die SOAR-Methode verwendeten, wurde eine Leistungsverbesserung von 13 bis20 Prozent gegenüber der SQ3R-Methode verzeichnet.

Soviel also zu Lerntechniken, die auf Social Media empfohlen werden. Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur soll nun das studentische Repertoire an Lerntipps noch erweitern.

Der jetzige Forschungsstand zur Bekämpfung der Prokrastination…

Der Psychologe Paul Penn widmet der Prokrastination ein ganzes Kapitel in seinem Buch „The Psychology of Effective Studying: How to Succeed in Your Degree“, in welchem er wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Lernen sammelt. Um der Prokrastination entgegenzuwirken, empfiehlt er, sich nicht nur Ziele zu setzen, sondern dabei auch genau zu definieren, wann, wie und wo man diese erreichen wird. Hierbei betont er den Vorteil von „wenn/dann“ Sätzen, wie zum Beispiel „Wenn es Montag 18:00 Uhr ist, werde ich so viele Wörter wie möglich schreiben“. Außerdem sollte man das Erledigen von Aufgaben, die einem besonders zuwider sind, durch kleine, häufige Belohnungen positiv verstärken. Diese Belohnungen können sogar die Form von Selbsttests haben: Durch die Erfolgserlebnisse, wenn man eine Frage richtig beantworten kann, wird das Gehirn belohnt. Aber auch sich selbst zu loben oder gemachte Aufgaben auf einer To-Do-List abzuhaken, können diese Funktion erfüllen. Womit wir beim nächsten Punkt sind: Eine komplexe Aufgabe in ihre Einzelteile zu zerlegen und diese nacheinander zu erledigen, gibt einem eine bessere Vorstellung von der Dauer der Aufgabe und hilft, der Prokrastination entgegenzuwirken. Auf einem ganz grundlegenden Level sollte man außerdem Ablenkungen entfernen beziehungsweise sie in die Arbeit integrieren – für Menschen, die beim Lernen oft zum Handy greifen, kann es also sowohl empfehlenswert sein, das Handy ganz wegzusperren oder aber das Handy zum Lernen zu verwenden, beispielsweise mit Lernapps. Pausen sind prinzipiell empfehlenswert, müssen aber im Vorhinein strukturiert und geplant werden, damit eine kurze Pause nicht in eine lange ausartet.

… und zur Verbesserung der Erinnerung an Gelerntes

Neben der bereits erwähnten SOAR-Methode haben sich noch einige andere Lernstrategien bewähren können. Für das Abrufen von Erinnerungen ist es laut einer Studie von Smith, Glenberg und Bjork (1978) generell hilfreich, den gleichen Stoff an mehreren verschiedenen Orten zu lernen. Allerdings sollte die Prüfung über das Gelernte im Idealfall an keinem neuen Ort stattfinden, sondern in einem der Settings, wo auch gelernt wurde. Bei online Prüfungen profitiert man also davon, dass diese meist am Lernort, nämlich dem eigenen Schreibtisch, absolviert werden; ein Nachteil des Fernlehresystems ist allerdings, dass es schwieriger ist, die Settings beim Lernen zu wechseln. Außerdem haben laut einer Studie von Chai et al. (2019) bunte Lernmaterialen, verglichen mit ihren schwarz-weißen Pendants, einen positiven Effekt auf die Erinnerung. Dennoch sollte ein zu lernender Text nicht unbedingt intensivem Highlighting mit einem Textmarker unterzogen werden: In einer Untersuchung von Yu, Storm, Kornell und Bjork (2015) wurde klar, dass hier „weniger ist mehr“ gilt. Studierende, die weniger anstrichen – und somit meist besser darin waren, die wirklich wichtigen Informationen herauszufiltern – schnitten bei Tests besser ab als jene, die in ihren Büchern fröhlich herummalten.

Prinzipiell gilt für die studentische Lebenspraxis wohl eines: Dass man überhaupt lernt, ist um einiges wichtiger als wie man lernt. Wer zum Beispiel mit Lernen nach der SQ3R-Methode gut zurechtkommt und lieber so lernt als anders, dem kann letzten Endes herzlich egal sein, ob diese Methode im Vergleich mit anderen zu besseren oder schlechteren Ergebnissen führt. Dennoch schadet es sicher nicht, das persönliche Lernverhalten hier und da ein wenig zu optimieren.

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