Den Rest erledigt das Programm

von Elena Rieger
Lesezeit: 4 min
Vorab, die folgenden Zeilen wurden nicht künstlich generiert. Doch Texte, die von ChatGPT verfasst werden, sind längst keine Seltenheit mehr – auch in der Schule, wo dies bereits für so manchen Aufschrei sorgte. Wie steht es um unser Bildungssystem? Eine Stellungnahme.

Ein paar Phrasen hier, ein paar Stichwörter da – fertig ist der hochwertige Text der neuen Musterschüler-KI. Er ist politisch korrekt und sprachlich einwandfrei noch dazu. Was normalerweise der Bestleistung durchschnittlicher Schüler:innen entspricht, ist im vernetzten Paralleluniversum ein Kinderspiel. Erst vor nicht allzu langer Zeit das Licht der digitalen Welt erblickt, erobert nun ein Programm die Herzen und Wahnvorstellungen im Sturm. Willkommen ChatGPT, willkommen Revolution der Bildung!

Das digitale Wunderkind

Wer dieses Wunder der Technik nutzt, kann sich Hausübungen auch sparen, heißt es. Die können jetzt nämlich künstlich generiert werden und das ganz „legal“ und ohne Kopfzerbrechen. Nur wenige Klicks. Fertig. Der Wissensschatz des Texterzeugungsprogrammes ist so groß, dass es binnen Sekunden grammatikalisch gehobene, gewissenhafte und gängige Ergebnisse auf Hochschulniveau zaubern kann. So munkelt man, dass besagtes digitales Wunderkind selbst vor den Prüfungen renommierter US-Universitäten nicht zurückschreckt und bereits einen bestandenen Jura-Test in der Tasche hat. Herzliche Gratulation! Für dieses Potential hätten die meisten Studierenden ein paar Semester länger die Nase in ein Buch stecken müssen.

Kein Wunder also, dass künstliche Intelligenzen weltweit auch nach und nach im Bildungssystem zu kursieren beginnen. Selbst wenn sich etwa ChatGPT erst in den Startlöchern befindet, sickert langsam aber sicher die Gewissheit in zahlreiche kluge Köpfe, dass sein Einsatz Spuren hinterlassen wird. Stehen wir am Anfang einer akademischen Wende? Zwar dürfte es hierbei mehr oder weniger fleißigen Kindern nicht schwer fallen, die futuristische Entwicklung in ihren Alltag zu integrieren, doch steht so mancher Lehrperson wohl bereits der Angstschweiß auf der Stirn. Ein Programm, das die intelligenten Leistungen einer ganzen Generation ersetzt? Schrecklich! 

Nobody’s Perfect

Wer sich schon Detektivarbeit leisten sieht, um Fake-Texte von bemerkenswerten Produkten der Lernenden zu unterscheiden, der kann zumindest teilweise aufatmen und vorerst noch Stift statt Lupe zur Hand nehmen. Momentan besitzt dieses schier übermenschliche KI-Monster, zumindest was seinen Entwicklungsstand betrifft, noch den einen oder anderen Makel. Obwohl ihm natürlich ein Bombeneinser in puncto Rechtschreibung und für seinen informationslastigen Wortlaut gewiss ist, muss es noch etwas an seiner Originalität feilen. So glänzt das Programm nicht etwa mit eigenen Geistesblitzen, sondern fischt sein Wissen aus einem Meer an bereits bestehenden Daten, mit denen es trainiert wurde. 

Es sei ihm verziehen, niemand ist perfekt und fehlerlos! Wer jedoch tiefere Reflexionen und individuelle Perspektiven zu Themen haben will, die über reine Fakten hinausgehen und persönliche Werte oder Überzeugungen einbeziehen, sollte vielleicht doch eher auf die altbewährte Gehirnkapazität des Homo Sapiens zurückgreifen.

Schule im Wandel

Da dieser Homo Sapiens bekanntlich im Laufe seiner Entwicklung stets nach Perfektion strebt, wird sich allerdings innerhalb der nächsten Jahre und Jahrzehnte noch so einiges im KI-Sektor bewegen – wodurch automatisch der Bildungssektor in Mitleidenschaft gezogen wird. Schon längst fallen gute alte Schultraditionen, wie die hochwertigen Hefte mit echtem Papier und die altgediente Kreidetafel, nach und nach der Technisierung und dem Einsatz digitaler Geräte zum Opfer. Veränderungen wie diese mögen den Unterricht langfristig bereichern und das Lernen am Puls der Zeit fördern, doch was, wenn irgendwann das eigenständige Denkvermögen von Kindern der Komplexität künstlicher Intelligenzen weichen muss? In diesem Kontext keine Grenzen zu definieren, würde vermutlich eher Rückschritt statt Fortschritt begünstigen, da es immer leichter wird, diverse Arbeiten und Aufgaben den schlauen Programmen zu überlassen, anstatt vom persönlichen Menschenverstand Gebrauch zu machen.

Aber Schule wäre nicht Schule, wenn sie nicht ebendiese Grenzen bezüglich der Nutzung künstlicher Intelligenzen im Bildungskontext ziehen würde, wie es etwa amerikanische Paradebeispiele bereits getan haben. Denn Kompetenzen statt KIs ist momentan die einzige Möglichkeit, gesellschaftliche und technische Entwicklung auch in der entfernten Zukunft weiter voranzutreiben.

Man mag dafür plädieren, dass es doch möglich sei, beide Aspekte schnell und einfach miteinander zu kombinieren und künstliche Intelligenzen unkompliziert in den Schulalltag von morgen zu integrieren. Doch dafür müssten Schüler:innen zukünftig in erster Linie ein Bewusstsein für den verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie entwickeln. Wer von klein auf zu verstehen lernt, dass es eventuell nicht ganz so sinnvoll ist, den digitalen Musterschüler mit Wortfetzen zu füttern, damit er einen schönen Text bastelt, macht einen Schritt in die richtige Richtung. Wie vieles auf der Welt haben die klugen Helferlein nämlich ihre Vor- und Nachteile und es liegt an der Menschheit selbst, jungen Leuten ein wesentliches Verständnis für beide Seiten zu vermitteln. 

Ein Blick nach vorn

Digitale Grundbildung? Ja, bitte. Durch deren ständige Anpassung an neue technische Fortschritte wären die Voraussetzungen gegeben, die Digitalisierung in Zukunft besser zugunsten persönlicher Lernprozesse zu nutzen, anstatt vehement gegen den Einfluss von ChatGPT und Co. ankämpfen zu müssen. Bildungsstätten sollten die individuelle Entwicklung fördern und Wert auf Diskussionen, kritisches Auseinandersetzen mit aktuellen Thematiken und erweiterte praktische Unterrichtseinheiten legen. Daneben dürfen sie neuen Generationen aber auch gerne ein gesundes Maß an Zugängen zum fortschrittlichen Technologie-Dschungel bieten.

Der Weg digitaler Errungenschaften wird auch künftig bestritten werden, ob wir das wollen oder nicht. Die Lösungen, etwa in Hinblick auf aufkommende Bildungsfragen, können dabei nicht mit Annehmlichkeiten wie ChatGPT als beispiellose Mustertexte generiert werden können, denn wo Verstand ist, da braucht es sowieso nicht viele Worte. Schon gar keine, die eine intelligente Maschine für „schlaue“ Schülerinnen und Schüler produziert. Solche modernen Technologien können bei richtiger Handhabung wunderbar als hilfreiche Unterstützer für eine fortschrittliche und gebildete Welt fungieren. Das ist ihr Zweck. Den Rest erledigt aber der Mensch. 

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