Der Wind dreht sich nach links

von Rosa Schmitz
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Nach über 15 Jahren ungebrochener Exekutiv-Beteiligung der AG leitet nun eine dezidiert linke Koalition die ÖH-Innsbruck. Im Interview mit UNIpress spricht das neue Vorsitzteam über Servicepolitik, Linksextremismus und darüber, was sich an der Uni klimatechnisch ändern müsse.


Als am Morgen des 12. Mai die Wahlergebnisse der Hochschulvertretungswahl an der Universität Innsbruck verkündet wurden, war das Erstaunen groß. Die JUNOS hatten ein Mandat verloren; die bisherige Koalition aus AG und JUNOS ging sich folglich nicht mehr aus. Stattdessen kamen GRAS, VSStÖ und KSV-LiLi gemeinsam auf die für eine Mehrheit erforderlichen 10 Mandate. Eine Dreierkoalition dieser linksgerichteten Fraktionen entspräche, aus damaliger Sicht, einer kleinen Sensation: Denn eine Innsbrucker ÖH-Exekutive ohne Beteiligung der AG hatte es seit 2007 nicht mehr gegeben.

Lange blieb für die Öffentlichkeit unklar, ob es dazu wirklich kommen würde. Seit dem 27. Juni steht die linke Koalition nun aber fest. Wie verliefen die Koalitionsverhandlungen? Was wird sich nun ändern? Was hat der bisherige Vorsitz gut gemacht? Was ist schwierig an der Zusammenarbeit? Und wie extrem ist der KSV-LiLi? Im UNIpress-Interview stehen die neuen Mitglieder des Vorsitzteams Rede und Antwort.

UNIpress: Erstmals herzlichen Glückwunsch an euch zum Gewinn.

Sophia und Hannah: Danke, danke.

UP: Das Wahlergebnis hat die AG und die JUNOS, wie’s scheint, etwas überrascht. Euch auch?

Sophia: Ja, mich hat das Ergebnis schon sehr stark überrascht. Andere – jetzt in meiner Fraktion – weniger. Aber ich finde das alles so schwierig einzuschätzen. Weil doch so ein extremer Wechsel an Studierenden ist. Und wenn man sich die politischen Ergebnisse sonst so auf der Welt anschaut… Da habe ich mir schon gedacht, dass wir verlieren. 

Hannah: Uns hat’s auch überrascht, würde ich sagen. Wir hatten ja eigentlich damit gerechnet, dass wir ein Mandat dazugewinnen – oder bei der gleichen Anzahl bleiben. Vor allem, weil unsere Themen doch recht aktuell sind. Zum Beispiel die Teuerung. Dass wir wie schon seit jeher wieder unseren Fokus darauf gelegt haben, hätte uns in die Hände spielen sollen. Aber vor allem, dass wir jetzt eine linke Mehrheit haben… Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Deswegen finde ich den Verlust jetzt auch nicht ganz so schlimm. Wir haben so ja dann doch irgendwie eine Mehrheit.

UP: Lola, warst du überrascht? 

Lola: Haha, eher erleichtert! Vielleicht auch positiv überrascht. Aber da wir sehr viel Arbeit in den Wahlkampf reingesteckt haben, sind wir zufrieden. Ich begrüße auf jeden Fall das wiederkehrende politische Interesse der Studierenden an der Universität Innsbruck.

UP: Warum, glaubst du, Hannah, habt ihr ein Mandat verloren?

Hannah: Wir haben sicher viele Stimmen an KSV-Lili verloren. Und an GRAS.

UP: An die AG nicht?

Hannah: Ich glaube nicht.

UP: War für euch direkt nach Verkündung der Wahlresultate klar, dass ihr eine linke Dreierkoalition wollt? 

Hannah: Für uns, also den VSStÖ, schon. Weil das einfach die bestmögliche Koalition für uns ist.

Sophia: Wir haben natürlich Gespräche mit der AG gesucht, geführt. Aber wir haben von Anfang an eine Dreierkoalition bevorzugt. In den Gesprächen mit all den Fraktionen hat sich das umso mehr herauskristallisiert.

UP: Woran liegt die notorisch niedrige Beteiligung bei den ÖH-Wahlen?

Sophia: An ganz vielen Faktoren. Ein gewisser Prozentsatz wird nie wählen gehen… Studierende, die nicht wissen, dass sie dürfen. Oder wieso sie sollten. Vielleicht weil sie nur kurz studieren, und es sie eh nicht beeinflusst“.

Hannah: Ja. Aber wir hoffen halt, dass wir jetzt mehr von ihnen dadurch motivieren können, dass wir die ÖH politischer gestalten wollen. Wir wollen ihnen vermitteln, dass wir – und sie – etwas verändern, bewegen können. Vielleicht bringen sie sich dann mehr in die ÖH ein. Oder zumindest ihre Stimmen.

UP: Wie viel kann die ÖH denn allgemein politisch bewegen?

Hannah: (hält kurz inne) Wir können auf jeden Fall mit Politiker:innen reden und versuchen, unsere Anliegen einzubringen. Und innerhalb der Universität Rahmenbedingungen schaffen, wo sich alle wohlfühlen.

Sophia: Vieles ist da noch im Aufbauprozess, sozusagen. Natürlich haben wir schon ein paar Ideen. Was dann möglich ist und was wirklich Gehör findet, ist dann aber die andere Sache.

UP: Inwiefern ist die Universität noch kein Ort für alle?

Hannah: Es arbeiten zum Beispiel sehr viele Studierende nebenher. Weswegen sie nicht immer alle Lehrveranstaltungen besuchen können. Sie sind ausgeschlossen. Brauchen länger. Müssen mehr Studiengebühren zahlen. Das ist ein Teufelskreis.

Sophia: Ja, genau. Auf sogenannte  Arbeiter:innenkinder, die sozial oder finanziell nicht so gut aufgestellt sind, wird gar nicht geachtet. Sie haben es viel schwerer. Man stelle sich vor: Man kommt neu an die Universität. Man hat niemanden, der einen unterstützt. Das überfordert extrem.

UP: Wie kann die ÖH in solchen Fällen helfen?

Sophia: Wir versuchen, mit Fördertöpfen einen Ausgleich zu schaffen. So gut es geht.

Hannah: Aber – nur um auszuführen – sie sind nicht die einzigen, die vergessen gehen. Auch für queere Studierende braucht es mehr Unterstützung – zum Beispiel in der Form von genderneutralen Toiletten.

UP: Lukas Schobesberger, der ehemalige 2. Vorsitzende der ÖH Innsbruck, hat die Beteiligung des KSV-Lilis in der Bundes-ÖH kritisiert. Extremistisches Gedankengut habe in politischer Verantwortung nichts verloren. Sophia, Hannah – koaliert ihr mit einer linksextremen Fraktion?

Sophia: Also linksextrem würde ich jetzt nicht sagen (lacht). Ich finde das ein bisschen übertrieben. Immer wenn jemand Kommunismus oder so im Titel hat, dann wird gleich das Vorurteil gesetzt: Die sind extrem! Sie sind links. Eh ganz klar. Aber nicht Linksextreme.

Hannah: (nickt zustimmend)

UP: Lola, was meinst du? Bist du linksextrem?

Lola: Dass eine kapitalistische studierendenfeindliche Fraktion ein Problem damit haben wird, dass Kommunist:innen in der ÖH vertreten sind, war mir von Anfang an klar. 

Ich bezeichne mich lieber als linksradikal, da ich glaube, dass wir, statt nur die Symptome bekämpfen zu wollen, die Probleme in unserer Gesellschaft an der Wurzel ändern sollten. Radix heißt ja auf Latein „Wurzel. Die Wurzel für viele dieser Probleme sehe ich im Kapitalismus und im Patriarchat. Deswegen bin ich auch materialistische Feministin. 

Und dass für Lukas Schobesberger der Kampf für ein freie Uni, eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und ein schönes Leben für alle „extrem ist – das find ich bezeichnend.

UP: Was wird für euch die größte Herausforderung in der Zusammenarbeit zwischen GRAS, VSStÖ und KSV-Lili sein?

Hannah: Manchmal haben wir andere Zugangsweisen. Das merkten wir auch in den Koalitionsgesprächen. Aber da muss man einfach schauen, dass man auf einen Konsens kommt, damit wir für die Studierenden Gutes erreichen.

UP: Gibt es da konkrete Beispiele?

Sophia: Manche vertreten ihre Grundsätze halt stärker. Sie konzentrieren sich eher darauf, wofür die Fraktion prinzipiell steht, statt das Ganze zu sehen.

UP: Es ist also eher eine Frage der verschiedenen Zugänge – nicht der Inhalte?

Sophia: Genau.

UP: Was wird euch in der Zusammenarbeit am einfachsten fallen?

Hannah: Die Themen, für die wir uns einsetzen wollen. Da sind wir uns einfach einig. Der Zweck eint uns.

UP: Die AG Innsbruck hat kritisiert, dass ihr ein Bündnis ohne die stimmenstärkste Fraktion eingegangen seid.

Sophia: Ich finde, das ist in Ordnung so. Ihr Argument ergibt jetzt wenig Sinn… Vor zwei Jahren hätten sie die Chance gehabt, mit GRAS – der zweitstärksten Fraktion – eine Koalition zu bilden. Und wir haben ja eine linke Mehrheit. Das ist für uns wichtiger.

Hannah: Ich denke außerdem, dass es gut ist, dass jetzt jemand anderes dran ist. Es war doch 17 Jahre lang die AG an der Spitze. So kommt mal ein bisschen frischer Wind in die ÖH rein.

UP: Was werdet ihr denn anderes machen?

Sophia: Ganz klar unsere Positionierung. Das allgemeinpolitische Mandat werden wir wahrnehmen. Aber auch die Projekte, die wir verfolgen wollen. Mal grob gesagt.

Lola: Wir wollen, wie bereits angesprochen, dass die ÖH ihren eigentlichen Sinn als politische Interessensvertretung für Studierende wahrnimmt. Wir sind Teil der Gesellschaft, deswegen geht uns die Allgemeinpolitik sehr wohl was an!

UP: Also sind die Veränderungen allumfassend – und nicht auf irgendetwas Spezifisches bezogen?

Hannah: Ja. Wir wollen nicht nur” einen Service anbieten.

UP: Werdet ihr die Studierenden dabei vergessen?

Sophia: (lacht) Nein. Sie stehen immer noch im Fokus.

UP: Was hat der vorherige Vorsitz denn gut gemacht?

Sophia: Also, ein paar Projekte muss man schon loben. Den Psychotherapie-Topf, zum Beispiel. Er hat extrem vielen Studierenden geholfen. Auch die Service, die sie angeboten haben, waren… nicht alle… nicht schlecht.

Lola: Glaube ich auch. Aber die ÖH Arbeit hört nicht bei der Servicepolitik auf. Wir wollen mehr als das!

UP: Sehr vorsichtig formuliert. 

Sophia: Ja, es gibt natürlich ein paar Sachen – da hätten sie sich mehr Mühe machen können. Aber sie haben auch gute Arbeit geleistet.

Hannah: Ich würde zum Beispiel auch sagen, dass die Stadträder eine gute Idee waren. Sie werden rege genutzt.

UP: Wo du’s ansprichst – was muss in puncto Klimaschutz an der Uni Innsbruck passieren?

Sophia: Ganz klar: Uni-Begrünung. Das bringt dem Klima jetzt nicht unbedingt extrem viel. Aber es nimmt Hitze. Sonst: PV-Anlagen auf den Dächern. Die Sanierung des GeiWi-Turms. Da verlieren wir sehr an Energie. Die Universität heizt zu viel mit Gas. Da müssen wir umstellen. Und bei den Studierenden muss mehr Bewusstsein geschaffen werden.

Hannah: Auch Thema Mobilität: Wir wollen das Öffi-Ticket gratis machen. Oder zumindest auf 194 Euro reduzieren – dann könnte man die Kosten eins zu eins mit der Familienbeihilfe decken.

UP: Hannah, du bist ja nichtbinär. Wie möchtest du angesprochen werden? Du bist ja vermutlich weder stv. Vorsitzende noch stv. Vorsitzender

Hannah: Ohne Pronomen. Es ist ein bisschen blöd, dass es in der deutschen Sprache keine genderneutralen gibt. Aber ist halt einfach so – und deswegen bitte einfach keine verwenden. Sondern meinen Vornamen. Titel: 1. Stv. Vorsitz. Das geht eigentlich ganz gut.

UP: Wie steht eigentlich ihr zur UNIpress – sollten wir frei von Einfluss der ÖH agieren können? 

Hannah: Absolut. Es ist wichtig, dass ihr unabhängig agiert. Der damalige Vorsitz Daniel Müller hat ja mal eine Ausgabe zurückgezogen… Das ist sehr stark zu kritisieren. 

Sophia: Dem kann ich nur zustimmen. Ihr habt zwar da ein Büro. Aber ihr müsst nicht da arbeiten. Ihr könnt machen, was ihr wollt.

UP: (lacht) Vorsicht.

Sophia: (schmunzelt) Nah, wir wollen euch da nicht beschränken oder kontrollieren, ob das, was ihr macht, im Studi-Kontext passt oder nicht. Das könnt ihr selber beurteilen.

UP: Wie bereits angesprochen, wurde vergangenes Jahr eben die Sommersemester Printausgabe #1 zum Thema „Sex vom ÖH-Vorsitz beschlagnahmt und durfte nicht verteilt werden. Es hieß, diese sei nicht relevant für Studierende. Wie seht ihr das?

Sophia und Hannah: Es gibt kein Thema, das für die Gesellschaft relevant ist, aber nicht für Studierende.

UP: Wie wichtig ist Pressefreiheit auf Hochschulniveau?

Sophia: Genauso wichtig wie sonst.

UP: We will hold you to that. 

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