„Mehr zu hören, als zu reden – solches lehrt uns die Natur: Sie versah uns mit zwei Ohren, doch mit einer Zunge nur.“ Recht hat er, der Schweizer Dichter und Autor Gottfried Keller. Immer wird erwartet, dass man etwas zu sagen hat, aber vielleicht sollte man manchmal einfach genau hinhören. Egal ob ein genial komponiertes Lied, eine leicht zu überhörende Andeutung in einem Gespräch oder das Rauschen des Windes in den Bäumen – unsere Umgebung hat mehr zu bieten für den, der die Ohren spitzt. Genauso hält möglicherweise die Stadt, in der man seit Jahren lebt, noch einige Überraschungen bereit – ‚alles gesehen‘ heißt eben noch nicht ‚alles gehört‘. Was Innsbruck angeht, hätte ich da ein paar Ideen….
Riesiger Sound
Da gibt es zum Beispiel das Haus in der Hofgasse 12, welches Ende des 15. Jahrhunderts im Auftrag von Erzherzog Sigmund für seinen Leibwächter Nikolaus Haidl errichtet wurde. Haidl war ein wahrer Riese, angeblich 2,25 Meter groß. Entsprechend hoch für damalige Verhältnisse ist auch der Torbogen im Hauseingang, der unter Innsbrucker:innen als Flüsterbogen bekannt ist. Wenn eine Person auf der einen Seite des Torbogens etwas hineinflüstert, wird der Schall über eine nach innen gewölbte Rille auf die andere Seite übertragen. So hat der Flüsterbogen wohl schon einigen Klatsch und Tratsch, Geheimnisse und Liebesbotschaften übermittelt. Angeblich gehen Wünsche, die ihm anvertraut werden, in Erfüllung – hoffen wir, dass er genau hinhört!
Museen zum Hinhören
Ein weiteres klangliches Urgestein der Stadt ist das Glockenmuseum Grassmayr am Südring, das von der gleichnamigen Glockengießerei betrieben wird. Die liegt seit 1599 in Familienhand und seit 1836 in Innsbruck. Inzwischen gibt es dort auch ein Museum mit einem Klangraum, in dem man selbst verschiedene Glocken ertönen lassen kann. Außerdem bekommt man einen Einblick in den Herstellungsprozess: Da gibt es den Holzflammofen, in dem bis zu 10 Tonnen Bronze geschmolzen werden können. Und wer Glück hat, erwischt einen Gusstag, an dem in einer sechs Meter tiefen Grube tonnenschwere Glocken für Abnehmer:innen auf der ganzen Welt gegossen werden.
Oder man stattet dem Audioversum am Landhausplatz einen Besuch ab, das in Zusammenarbeit der Stadt Innsbruck mit dem Hersteller für Hörimplantate MED-EL betrieben wird. Als Besucher erfährt man zum Beispiel, wie unser Gehör funktioniert, wie akustische Signale im Gehirn verarbeitet werden und welche Rolle die Ohren beim Gleichgewichtssinn spielen. Dabei gibt es viel zu erleben: Kunst zum Hören, verschiedene Audio-Installationen und eine auditive Jagd nach unsichtbaren Vögeln.
Die Melodie der Moderne
Wer die klangliche Vielfalt Innsbrucks lieber an der frischen Luft erleben will, dem sei ein ganz besonderer Geheimtipp empfohlen. Zu hören gibt es nichts Geringeres als den Soundtrack des Fortschritts, die Melodie der Moderne, den sich in Schallwellen manifestierenden Beweis unserer Mobilität! Und der ist nicht nur in Innsbruck zu hören, sondern vereint ganze Kontinente im gemeinsamen Erleben von Knattern, Rattern und Hupen: Gemeint ist natürlich die wunderschöne Geräuschkulisse des Straßenlärms, der die Stadt so beständig durchzieht, dass man vielleicht schon meint, sich daran gewöhnt zu haben. Egal ob Autobahn, Südring oder Mühlauer Brücke: Überall dröhnt der Verkehr, und wir sehen es als gottgegeben an, dass viele Straßen und Plätze nicht den Menschen, sondern den Autos gehören. Zum Glück gibt es genügend Möglichkeiten, den städtischen Verkehr zu beruhigen, zum Beispiel durch Tempolimits oder Fußgängerzonen. Innsbruck hat da noch einen weiten Weg vor sich: Laut einer 2017 erschienen Studie des Landes Tirol sind über 90% der Innsbrucker Bevölkerung einer mittleren oder hohen Straßenverkehrslärmbelastung ausgesetzt. Und diese Belastung kann krank machen: Es werden mehr Stresshormone ausgeschüttet und als Folge erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Bluthochdruck, Herzinfarkte und Schlafstörungen.
Hört sich gut an!
Wenden wir uns also lieber angenehmeren Klängen zu und hören etwas Musik. In Zeiten von Spotify und Co ist man es gewohnt, selbst auswählen zu können, was man auf die Ohren bekommt. Wenn der Algorithmus einen mal kennt, fehlen mir zumindest manchmal Vorschläge von außerhalb der Bubble. Dann lohnt es sich, die Qual der Musikwahl anderen zu überlassen und ins Radioprogramm reinzuhören. Empfehlenswert sind zum Beispiel FM4 und der Innsbrucker Sender Freirad. Oder man schlendert durch die Plattenläden Twosides und Nabu Records, um sich etwas Inspiration zu holen.
Zuletzt sollte das erholsamste Geräusch der Welt nicht zu kurz kommen – die Stille. Die kann man nach einer durchzechten Nacht oder einem anstrengenden Lerntag bei einem Spaziergang zum Höttinger Bild genießen. Der Legende nach befestigte der fromme Student Franz Peier im Jahr 1675 ein Marienbild an diesem Ort und betete für göttlichen Beistand bei bevorstehenden Prüfungen. Anscheinend mit Erfolg, denn immer mehr Studierende folgten seinem Beispiel. Ein Bauer errichtete daraufhin an der Stelle eine Holzkapelle, der 1774 ein gemauertes Kirchlein folgte. Heute ist das Höttinger Bild ein beliebter Ort, um abzuschalten. Schon auf dem Weg nach oben entfernt man sich Stück für Stück vom Alltagslärm – Vogelgezwitscher statt Stimmengewirr. In der Kapelle angekommen, hat man alle Zeit der Welt, zur Ruhe zu kommen, durchzuatmen und der Stille zu lauschen.