Wer vor zehn Jahren noch als Streberin und übereifrig, oder – etwas positiver – ambitioniert und zielstrebig galt, ist nun Ziel einer neuen Zuschreibung geworden: „Overachiever“. Diese bewundernswerten, aber oft belächelten Individuen scheinen jede Minute ihres Tages in ein episches Abenteuer zu verwandeln, indem sie gleichzeitig berufliche Glanzleistungen erbringen, Triathlons bestreiten, zwischendurch eine Skitour einschieben, ehrenamtlich im Tierheim arbeiten, am Wochenende als DJ auflegen und in der Uni mit einem Einserschnitt glänzen. In beiden ihrer gewählten Studiengänge natürlich: Medizin und nebenbei, weil sich’s ausgeht, Jura. Während sich die einen glücklich schätzen, mal pünktlich aus dem Haus zu kommen und den Kaffee nicht überkochen zu lassen, jonglieren diese Überflieger scheinbar mühelos mehrere Projekte, Hobbys und soziale Verpflichtungen zugleich. Werfen wir also einen Blick in die faszinierende Welt der Übereifrigen und auf ihre unermüdlichen Versuche, das Unmögliche möglich zu machen – und dabei vielleicht doch ein kleines bisschen zu viel des Guten zu wollen.
Unter Druck entstehen nicht immer Diamanten
In unserer Leistungsgesellschaft wird oft das Bild vermittelt, dass Erfolg gleichbedeutend mit ständiger Aktivität und unablässigem Engagement ist. Es ist daher nicht abwegig, dass man sich verpflichtet fühlt, diesem Ideal zu entsprechen. Man möchte als erfolgreich, fleißig und produktiv wahrgenommen werden, was dazu antreibt, sich ständig zu überanstrengen und immer neue Aufgaben anzunehmen. Overachiever sind auch oft Perfektionisten, die stets danach streben, alles, was sie tun, mit größter Exzellenz zu erledigen. Ihr innerer Kritiker lässt ihnen dabei oft keine Ruhe, bis jede Aufgabe perfekt abgeschlossen ist.
Tief im Inneren vieler Overachiever sitzt die Angst, wenn auch ganz versteckt, nicht gut genug zu sein oder als Versager dazustehen, wenn man nicht all diese Dinge macht und erlebt. Dies treibt sie dazu an, immer mehr zu tun, um sich und anderen zu beweisen, dass sie tatsächlich fähig und wertvoll sind. Die permanente Herausforderung, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen, kann auch einen gewissen Adrenalinkick mit sich bringen. Man erlebt eine Art Hochgefühl, wenn unter Druck gearbeitet wird und diese Arbeit womöglich Erfolg mit sich bringt. Dieses Hochgefühl kann sogar süchtig machen und dazu führen, dass immer wieder nach neuen, noch anspruchsvolleren Aufgaben gesucht wird.
Born to chill, forced to overachieve
Hand aufs Herz: Wohl kaum ein Individuum hat noch nie am eigenen Leibe den gesellschaftlichen Druck verspürt, mehr zu leisten und in allen Lebensbereichen erfolgreich zu sein. Menschen können auch in die Rolle des Overachievers gedrückt werden, ohne es zu bemerken. In einer Kultur, die Produktivität und ständige Aktivität glorifiziert, entsteht schnell das Gefühl, dass Stillstand gleichbedeutend mit Rückschritt ist. Dieser Druck wird durch das Phänomen der Fear of Missing Out, auch bekannt unter „FOMO“, noch verstärkt.
Wer sich auf Social Media rumtreibt, wird sekündlich mit dem scheinbar perfekten, gesunden, spannenden und erfolgreichen Leben anderer konfrontiert. Perfekter Nährboden für die Angst, wichtige Chancen zu verpassen oder nicht genug aus seinem eigenen Leben zu machen. Dieser ständige Vergleich und die daraus resultierende Unsicherheit treiben Menschen dazu, immer mehr Aufgaben und Verpflichtungen auf sich zu laden, in der Hoffnung, damit der gesellschaftlichen Erwartung von Erfolg und Erfüllung gerecht zu werden. Doch statt Erfüllung zu finden, führt dies oft zu Überforderung und Erschöpfung, während der eigentliche Lebensgenuss auf der Strecke bleibt. Dieser übermäßige Ehrgeiz kann letztlich zu Burnout führen und hinterlässt ein Umfeld, in dem die ständige Jagd nach Perfektion das menschliche Miteinander und die Wertschätzung des gegenwärtigen Moments überschattet.
Eile mit Weile
An dieser Stelle sei eines betont: Jeden Tag hart für seine Ziele zu arbeiten, dabei einige Überstunden zu machen und nach Feierabend dennoch seinen Hobbys nachzugehen – das ist nicht nur bewundernswert, sondern verdient höchsten Respekt. Aber – das mag zwar für manche schwer zu glauben sein – es ist völlig in Ordnung, auch mal nichts zu tun und sich eine Auszeit zu gönnen. Manchmal ist es wichtig zu erkennen, dass wahre Erfüllung nicht nur aus ständiger Produktivität und Höchstleistungen entsteht, sondern auch aus Momenten der Ruhe und Besinnung. Die Welt dreht sich weiter, selbst wenn man sich mal für einen Nachmittag auf die Couch legt, ohne dabei die Mails zu checken. Lassen wir den Perfektionismus los und genießen wir die Freiheit des Nichtstuns. Die To-Do-Listen und Weltrettungspläne können ruhig einen Tag warten.