Wir haben den vierten Februar, doch es riecht wie an Silvester. Der Rauch der Pyrotechnik vermischt sich in der kalten Luft mit roten Pigmentwolken, Farbe tropft von den Hosenbeinen der Polizisten und von der Wand der ÖVP-Landesgeschäftsstelle in der Fallmerayerstraße, vor der die Beamten aufgereiht stehen. Hier ist der Demozug der diesjährigen Grenzen-töten-Demo an seiner ersten Station stehen geblieben.
Zwei Jahre zuvor, am 30. Januar 2021, kam es bei einer Demonstration unter demselben Motto zu heftigen Zusammenstößen von Demonstrierenden mit der Polizei. Die Versammlung war wegen Nichteinhaltung der Covid-Regeln aufgelöst worden – rechtswidrig, wie später vom Landesverwaltungsgericht Tirol entschieden wurde. Ein Teil der Menge – der sogenannte „schwarze Block“ – wurde eingekesselt, es kam zum Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray gegenüber Demonstrierenden. Die Demo im darauffolgenden Jahr 2022 verlief hingegen vergleichsweise ruhig.
Wie ist bei einer solchen Vergangenheit die Stimmung zwischen Polizei und Protestierenden? „Schlecht“, meint eine demonstrierende Person, „aber weniger schlecht als letztes Jahr.“
Vorsicht, aber keine Angst
Ich spreche vor Demobeginn mit Tobias Köhle vom VSSTÖ Innsbruck. Der Verband sozialistischer Studierender hat die Demo mit organisiert und stellt auch einen Großteil der Ordner:innen. Die aktuelle wirtschaftliche Lage und der finanzielle Druck, den viele Menschen gerade verspüren, führe bei vielen dazu, in Migrant:innen einen Sündenbock zu suchen, so Köhle. Dagegen wolle man ein Zeichen setzen.
Bezüglich der Situation mit der Polizei meint er: „Man geht grundsätzlich nicht mit Angst rein, aber mit einer Vorsicht und einem gewissen Respekt vor der Situation. Prinzipiell ist die Stimmung zwischen linken Demonstrant:innen und der Polizei immer eher angespannt, es sind gewisse Ressentiments von beiden Seiten da, die das Ganze zusätzlich aufheizen. Es gibt auch Vorbereitung für Demonstrierende, um diesen auch bewusst zu machen, welche Rechte sie haben, was sie dürfen und was die Polizei darf.“
„Anstiften und anpissen“
Der sogenannte „schwarze Block“ und dessen Einstellungen und Verhalten waren nach der Eskalation der Demo im Jahr 2021 wiederholt Thema in den Medien. Es handelt sich laut Köhle um eine eher lose Gruppierung an Menschen, die tendenziell radikalere Aktionsformen im Rahmen des zivilen Ungehorsams anwenden und bei der Demo im vordersten Block gehen würden – auch, um andere Teilnehmer:innen zu schützen und härteres Vorgehen vonseiten der Polizei abzufedern. Ein junger Demonstrierender, der „blocken“ wird, erklärt sich bereit, mit mir zu sprechen.
Er will vor allem gegen die Asylpolitik der EU und den Umgang mit Flüchtlingen in der Türkei Position beziehen. Beim Blocken gehe es ums „Anstiften und Anpissen“ – mit komplett friedlichen oder ruhigen Demos komme man nicht mehr sonderlich weit, so der Demoteilnehmer, da diese nicht ernst genommen würden. Gewalt sei aber kein Thema, sondern nur das Stiften „ziviler Unruhe“. Auf beiden Seiten – Polizei und Demonstrierenden – sei eine gewisse Anspannung da. Das merke man auch am massiven Polizeiaufgebot.
Farbe für die Roten
Nach dem Halt vor der ÖVP-Geschäftsstelle bleibt der Demozug als nächstes vor der FPÖ-Zentrale in der Anichstraße stehen. Erneut wird von Demonstrierenden im vordersten Block verbotenerweise Pyrotechnik gezündet, Farbe steigt wieder auf, es ist laut und stickig. Schaulustige bleiben am Gehsteig stehen, manche machen Videos.
Der eindrucksvollste Stopp ist wohl jener vor der SPÖ-Zentrale in der Salurnerstraße. Ein Wahlkampffoto von Landeshauptmann-Stellvertreter und SPÖ-Tirol-Chef Georg Dornauer grinst von der Fassade. Auch ihn wird bald Farbe treffen. Die Polizist:innen stehen mit eisernen Minen an der Wand und fangen mit ihren Schutzschildern einen Teil ab.
Einige Tage zuvor posierte Dornauer mit Innenminister Karner auf Instagram und schrieb, beide würden „die Migrationsbewegungen nach Europa stoppen“ wollen – ein Ziel, das die Teilnehmer:innen der Grenzen-töten-Demo so bestimmt nicht teilen. Die wachsende Distanz zwischen Mutterpartei und den maßgeblich an der Organisation der Demo beteiligten Vorfeldorganisationen wie SJ oder VSSTÖ wird einmal mehr deutlich. Aus der Menge ertönt vereinzelt der Ruf „Ganz Innsbruck hasst die SPÖ!“.
Gegen Ende doch Eskalationsgefahr
Nach einem weiteren Zwischenstopp beim Hauptbahnhof zieht die Demo über die Sillgasse an Polizeidirektion und Hofgarten vorbei Richtung Landestheater. Am „Ni-Una-Menos-Platz“ – so wurde der Platz vor dem Theater wurde im Rahmen einer feministischen Aktion getauft – kommt die Menschenmenge schließlich zum Stillstand. Es gibt etwas zu essen, die Stimmung wirkt entspannter, die Menschen sind nach fast zweieinhalb Stunden gehen müde. Bis jetzt ist nichts passiert.
Doch dann unterbricht eine Vortragende ihren Redebeitrag: Die Polizei habe „willkürlich“ zwei Personen festgenommen, als sich diese von der Demo entfernt hätten. Die Menge wird aufgerufen, „Solidarität zu zeigen“ und sich zur Stelle des Geschehens zu begeben.
Dann geht alles ziemlich schnell. Menschen lassen ihre Suppenteller stehen und strömen durch den Durchgang neben dem Landestheater Richtung SoWi-Gebäude. Dort hat sich eine dichte Menge gebildet, die in Sprechchören „Lasst sie frei!“ brüllt, gefolgt von „Ganz Innsbruck hasst die Polizei!“. Einige Demonstrierende kollidieren heftig mit den Polizist:innen. Allein das Betrachten des Gedrängels gibt mir ein leichtes Gefühl der Atemnot. Eine Person neben mir meint: „Das sieht nach Kessel aus.“
Plötzlich löst sich die Menge wieder auf, so schnell, wie sie sich gebildet hat. Am Rückweg durch den Durchgang ändert sich der Sprechchor zu „Hass, Hass, Hass wie noch nie! All cops are bastards: ACAB!“ Eine Person, die neben mir läuft und von allen in meiner Umgebung am lautesten schreit, scheint Tränen in den Augen zu haben.
Die Menschen finden sich dann jedoch wieder relativ ruhig am Vorplatz des Landestheaters ein. Ich erfahre, dass die verhafteten Personen wohl tatsächlich wieder freigelassen wurden. Es geht noch kurz weiter mit Redebeiträgen, bis die Versammlung durch die Veranstalter offiziell aufgelöst wird. Der letzte Ratschlag an alle Demonstrierenden: „Geht nicht alleine heim.“