Die in sozialen Medien dargestellte Welt hat nur wenig mit der Realität gemein – ein Fakt, der in unserer Gesellschaft durchweg als Tatsache gilt. Die Kluft zwischen dem virtuellen und dem echten Bild unser selbst wird zunehmend größer und dennoch gelingt es Instagram, Facebook & Co. immer wieder, Nutzer:innen zu täuschen und in ihrer trügerischen Welt aus Bildern und Videos zu verschlucken. Insbesondere Menschen zwischen 14 und 29 Jahren gelten dafür als besonders anfällig.
Laut einer 2022 veröffentlichten Studie des Vereins „Media Server“ verbringen Personen dieses Alters täglich etwa 420 Minuten im Internet, wobei der größte Teil davon auf Social Media entfällt… Dort teilen, liken, posten und kommentieren sie, werfen aber vor allem kritische Blicke auf die Körper anderer – und gleichzeitig auf den eigenen.
Sie vergleichen sich, manchmal bewusst, aber noch häufiger unbewusst. Mit jedem weiteren in die Timeline gespülten Bild oder Video entwickelt sich ein Schönheitsideal, das der Perfektion nicht näher sein könnte und dem augenscheinlich und insbesondere durch die Wirkung von Algorithmen als Multiplikatoren auch die meisten Personen auf den jeweiligen Plattformen zu entsprechen scheinen. Wer schön ist, ist meist auch erfolgreich, führt ein glamouröses Jetset-Leben und kann sich vor Fashion-Shows und Werbeangeboten von Luxus-Marken kaum noch retten. Schöne Menschen sind umgeben von schönen Menschen, insgesamt wirkt alles frei von jeglichen Makeln, nur man selbst scheint nicht so wirklich in diese perfekte Welt zu passen.
Mehr Schein als Sein
Dabei vergessen viele, dass diese Darstellung von Perfektion mehr Schein als Sein ist. Sie verfügt über die Macht, unser Bild von Schönheit und allen damit einhergehenden Aspekten nachhaltig zu verändern. Mit diesem Perfektionismus geht auch der Drang einher, stets auf der Suche nach Verbesserungen zu sein, mit einem ewigen Gefühl der Unvollkommenheit, das über natürliche Wege nur selten befriedigt werden kann. Als Umweg dient häufig eine Symbiose aus Bildbearbeitungsprogrammen und Filtern, die in kürzester Zeit ein Idealbild erschaffen und die eigenen Fotos einwandfrei in die Social-Media-Welt eingliedern kann.
Die Haut soll auf den Fotos heller aussehen? Oder doch etwas dunkler? Die Lippen sind zu dünn? Die Nase zu klein? Der Pickel auf der Stirn doch etwas zu groß? All diese „Probleme“ lassen sich mit Filtern innerhalb von Sekunden beheben und machen es für Nutzer:innen selbst auf den zweiten Blick schwer ersichtlich, ob es sich um ein bearbeitetes oder natürliches Foto handelt. Es gibt wenig, was Filter nicht können, aber umso mehr, was sie anrichten können. Auch, da sie das eigene Selbstwertgefühl durch die suggerierte Makellosigkeit meist nicht einmal verbessern – weil sich die Personen doch darüber bewusst sind, dass die Realität eine andere ist.
Durch permanentes Vergleichen und den von sozialen Netzwerken ausgehenden Druck nach Schönheit und Vollkommenheit können nämlich durchaus auch psychische Probleme entstehen. Bestätigt wurde dies beispielsweise durch die Etablierung der sogenannten „Selfie-Dysmorphie”, die inzwischen als Krankheit anerkannt wurde. Forscher der Boston University School of Medicine beschrieben dieses Phänomen zu Beginn des Jahres 2018 als „Snapchat-Dysmorphia“, weiteten den Begriff später jedoch aus. Konkret leitet sich die Bezeichnung von „Dysmorphophobie“ ab, einer Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers, bei der sich Betroffene unschön, oft sogar enstellt fühlen und deren Gedanken sich unentwegt um ihr Aussehen und dem stundenlangen Suchen nach vermeintlichen Fehlern und Makeln, die objektiv nicht als solche zu erkennen sind, drehen. Erkennbar machen sich diese Zweifel in bestimmten Verhaltensweisen, unter anderem durch häufiges Betrachten im Spiegel, Kratzen und Zupfen an der Haut, aber auch ständiges Vergleichen.
Schwerwiegende Konsequenzen
„Selfie-Dysmorphie” vereint diese Aspekte, allerdings mit dem Zusatz, dass für die ständige Unzufriedenheit über das Äußere vor allem der Vergleich mit Filtern und Effekten, deren Idealbild ohnehin unerreichbar ist, ursächlich ist. Eine im Internet vorgelebte Realität, die so nicht existiert. Diese Symptome können für Betroffene des Öfteren auch schwerwiegende Folgen nach sich ziehen und in Depressionen, sozialem Rückzug und auch Suizid gipfeln. Nicht selten unterziehen sich Leidtragende auch speziellen Eingriffen, in der Hoffnung, der Obsession dadurch zu entfliehen.
Laut Forschern funktioniert dies jedoch nur selten und führt meist eher dazu, dass sich entsprechende Komplexe gar verschlimmern. Sie sehen die Lösung vor allem in Gesprächen, Verhaltenstherapien und einer besseren Aufklärung, nicht aber in chirurgischen Eingriffen.
Schönheitsoperationen, die den Schein des Internets schließlich in die Realität übertragen sollen, nehmen laut Experten und Statistiken seit einigen Jahren stetig zu und haben ein Maß an Popularität erlangt wie nur selten zuvor. Auch, weil in sozialen Medien vermehrt von ihnen geschwärmt wird und sie dort als Ausweg für alles gelten. Schönheitsoperationen werden auf Instagram & Co. vor einem (meist jungen) Publikum vermarktet und beworben, als wären sie keine medizinisch (hoch-)riskanten Eingriffe, sondern das Normalste der Welt. Etwas Alltägliches, das jede:r einfach in Anspruch nehmen könnte, wenn irgendetwas am eigenen Körper stört. Dabei wird jedoch nur selten über die Risiken solcher Eingriffe aufgeklärt, im Fokus steht meist nur das Ergebnis. Dieses wird mit Vorher-Nachher-Vergleichen nochmal besonders in den Vordergrund gestellt und dient damit für nicht wenige als positives Beispiel für die Sinnhaftigkeit solcher Eingriffe.
Dabei ist es genau dieser als selbstverständlich und unproblematisch deklarierte Schönheitsdrang, der unser Bild und Denken nicht nur verändert, sondern auch entfremdet. Der Schönheit nicht nur auf den ästhetischen Aspekt reduziert, sondern auch mit Erfolg, Glück und Reichtum, gar einem Lifestyle gleichgesetzt. Ein Drang, der immer weiter wächst – und der ohne Social-Media in dieser Form vermutlich nicht existieren würde.