Heimat finden in der Fremde

von Annalena Haller
Lesezeit: 4 min
Jährlich fliehen Millionen Menschen auf der ganzen Welt vor Krieg, Verfolgung und Armut aus ihren Heimatländern. Im Gepäck: Hoffnung auf ein besseres Leben. Ein Betroffener teilt seine Geschichte von der Entscheidung zur Flucht bis zum Neuanfang in einem fremden Land.

Die Gewährung von internationalem Schutz ist eine wichtige völker- und menschenrechtliche Verpflichtung. So steht es auf der Internetseite des österreichischen digitalen Amtes. Im Jahr 2023 wurden hier rund 59 232 Asylanträge gestellt, 55 Prozent davon wurden bewilligt. Die meisten Menschen kamen aus Syrien, Afghanistan, Marokko und der Türkei. Drei Viertel aller Schutzsuchenden stammen aus diesen vier Ländern.

Österreichs humanitäre Verpflichtung

Ein menschenunwürdiges Regime, radikale Politik, Verfolgung, Krieg, fehlende Zukunftsaussichten für die Familie. Das alles sind Gründe, die einen Menschen dazu bewegen, aus seiner Heimat zu fliehen. Ein funktionales und effizient strukturiertes Asylsystem stellt auch in Zukunft einen entscheidenden Faktor für eine erfolgreiche Integration in der EU und auch in Österreich dar. 

Kein anderes EU-Land gewährt häufiger Asyl auf die Einwohnerzahl gerechnet als Österreich. Für Schutzsuchende ist es vielfach das erste Land in Europa, in dem sie zumindest ein einigermaßen funktionierendes Asylsystem vorfinden. Zwischen 2018 und 2021 wurde in Österreich in 58 000 Fällen Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt – ein herausragender Wert im EU-weiten Vergleich. Wären die Asylbehörden in den anderen europäischen Demokratien ähnlich häufig zu positiven Entscheidungen gelangt, hätte Europa in diesem Zeitraum 3,3 Millionen Flüchtlingen einen entsprechenden Aufenthaltstitel verliehen. Tatsächlich erhielten jedoch lediglich 1,1 Millionen Menschen diesen Schutzstatus – also nur ein Drittel davon.

Neue Chancen: Ein Geflüchteter erzählt

Zu jeder geflüchteten Person gehört eine individuelle Geschichte. Traurige Geschichten, aber auch schöne und hoffnungsvolle. Wertvolle Geschichten, bei denen es schade wäre, sie nicht zu erzählen. 

Geflüchtete stehen nach ihrer Ankunft in Österreich vor zahlreichen kulturellen und zwischenmenschlichen Herausforderungen, die es für sie zu bewältigen gilt. Das berichtet auch der Syrer Bilal in einem kurzen Gespräch.

 Vor zehn Jahren floh er mit seinen Eltern und seinen beiden Geschwistern vom Krieg in Syrien und suchte Schutz in Österreich. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade mal 19 Jahre alt. Anfangs sei es für ihn ganz schwierig zu akzeptieren gewesen, überhaupt Flüchtling zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass es mich treffen könnte, meint er. Das Loslassen seines alten Lebens – der vertrauten Routinen, Freunde und seines Zuhauses – sei ihm alles andere als leicht gefallen. 

Bei seiner Ankunft im Flüchtlingsheim in Österreich habe Bilal durchweg positive Erfahrungen gemacht. Ich erhielt die volle Unterstützung, die ich brauchte, um später in Österreich auf eigenen Beinen stehen zu können. Sowohl im Alltag als auch im Beruf. Seiner Meinung nach hat Österreich eines der besten Integrationssysteme: Davon könnten sich andere Länder etwas abschauen.

Ich hätte nie gedacht, dass es mich treffen könnte.

 

Bis Bilal seine Aufenthaltsbescheinigung erhielt, durfte er nicht arbeiten. Er wusste seine Zeit aber sinnvoll zu nutzen und lernte als erstes die deutsche Sprache. Er habe sich auch intensiv mit der österreichischen Kultur und den Sitten auseinandergesetzt, um sich so schnell und so gut wie möglich an die Lebensweise der Menschen hier anzupassen. Das war mir besonders wichtig. Mir war bewusst, dass hier andere gesellschaftliche Normen gelten als in Syrien. Die Umstellung war nicht immer leicht, jedoch war es für mich und meine Familie eine Selbstverständlichkeit. Der Großteil der anderen Flüchtlinge habe das seiner Meinung nach auch versucht. Es gab aber auch einige Ausnahmen. Ich finde, das hatte aber auch etwas damit zu tun, dass manche von ihnen echt sehr lange auf ihre Aufenthaltsbescheinigung gewartet haben und sich in dieser Zeit auch nicht sicher waren, ob sie überhaupt bleiben durften. 

Mittlerweile verlaufen Asylanträge in Österreich in der Regel deutlich schneller, als das noch bei Bilal der Fall war. Geflüchtete finden schneller Arbeit und eine Wohnung, was ihnen ermöglicht, sich innerhalb weniger Monate ein stabiles Leben aufzubauen. Das ist wichtig, denn so können sie aktiver an der Gesellschaft teilnehmen und Stigmata schneller durchbrechen, meint der junge Mann. Leider erlebte auch Bilal Rassismus und Vorurteile aufgrund seiner Herkunft.In 90 Prozent der Fällen traf ich aber auf freundliche Menschen, die mich sehr schnell aufnahmen. Ihnen war meine Herkunft egal. Einige von ihnen seien bis heute gute Freund:innen von ihm.

Ein besonders schöner Moment in Österreich war für ihn das Erhalten der Aufenthaltsbescheinigung.In diesem Moment fühlte es sich für ihn so an, als könne mein neues Leben jetzt beginnen. Rund neun Jahre und viel Arbeit später erlangte er die österreichische Staatsbürgerschaft. Er erinnert sich noch an den Moment, als er das erste Mal in Österreich gewählt hat. Wie stolz er war.Man fühlt sich endgültig als Teil der Gesellschaft, da man mitentscheiden kann, erzählt er. Sein absolutes Highlight in Österreich sei aber sein größtes Hobby, das Skifahren. In Syrien hätte er niemals gedacht, dass er jemals auf Skiern stehen würde, geschweige dass es ihm gefallen würde, und heute lässt er für frischen Powder alles stehen und liegen und schnallt sich die Ski um.

Bilals Flucht ist zehn Jahre her. Mittlerweile fühle er sich weniger mit Syrien verbunden, er wolle seine Vergangenheit zurücklassen und loslassen. Das Aufwachsen in Österreich hat mich sehr geprägt. Das Land ist für mich mittlerweile nicht nur mein Zuhause, sondern auch meine Heimat.

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