In den Klauen des Winterblues

von Rosa Schmitz
Lesezeit: 5 min
Viele kämpfen zu dieser Jahreszeit mit depressiven Verstimmungen. Aber wann sollten diese als ernsthafte Depression gewertet werden?

Es ist ein Kampf. Jeder Tag zieht sich unendlich in die Länge. Du bist unausgeglichen, gereizt, traurig. Gedrückt und schlapp schleichst du umher. Erschöpfung und Energielosigkeit folgen dir auf Schritt und Tritt. Dabei ist es gerade einmal 17 Uhr. Und doch hat dich die Bettschwere schon erreicht. Sie hängt dir Klötze an die Unternehmungslust. Wie ist damit umzugehen? Was ist überhaupt die Ursache?

Eine seltene, aber nicht ganz unwahrscheinliche Möglichkeit, ist eine sogenannte saisonal abhängige Depression. Auch SAD genannt.

Was genau aber ist das? SAD kommen meist im Zuge von Lichtmangel in den Wintermonaten auf. Die Symptome der krankhaft gedrückten Stimmung treten meist Anfang Herbst auf und klingen im Frühjahr automatisch wieder ab. Unterschieden werden muss somit von einer klassischen Depression. Allerdings sind SAD auch nicht das Gleiche wie der Winterblues, der viel milder verläuft. Diese Verwechslung führt oft dazu, dass Menschen überdiagnostiziert werden.

Wie erkennst du also eine echte Erscheinung von SAD und was kannst du dagegen tun?

Du bist schlapp und meist todmüde?

Der Wecker klingelt, doch es ist noch dunkel draußen. Du fühlst dich, als wärst du in der Nacht überfahren worden und musst alle nicht vorhandene Energie aufwenden, um dich aus dem Bett zu hieven. Die Aufgaben für heute scheinen unmöglich. Warum nicht – eingekuschelt zwischen Bären und Siebenschläfern – auf den Frühling warten?

Winterschlaf als Form des Energiesparens erscheint das einzig sinnvolle in der dunklen Jahreszeit. Schließlich fährt die Natur im Winter komplett herunter. Nur der Mensch muss es mal wieder anders machen und fährt nun richtig hoch: Mit den Tourenski die schlappen Schneehühner aufscheuchen oder beim Nachtrodeln die Gämse erschrecken. Mit elektrischem Licht und Koffein halten wir uns wach, obwohl auch unsere biologische Uhr an die Lichtverhältnisse angepasst ist.

Für Menschen mit SAD sind ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis und Antrieblosigkeit typische Symptome. Im Winter herunterzufahren, sollte daher normalisiert werden. Solange man nicht vergisst, dazwischen etwas frische Luft zu schnappen. Denn indem du dich aufraffst, beugst du der Müdigkeit ein wenig vor.

Du hast null Bock und bist das Gegenteil von aktiv?

Deine Freundin sagt dir für heute Abend ab und du bist unendlich erleichtert. Du kannst im warmen Bett bleiben. Die Hausarbeit schleppt sich seit Wochen mühsam dahin und selbst für das KI (Kletterzentrum) kannst du dich nur sehr schwer motivieren. Durch Serienschauen lässt sich die Ermattung besser ertragen, die To-Do-Liste, die nebenbei immer länger wird, leichter ignorieren. Manchmal ist es fast am erträglichsten, im Zimmer zu sitzen und die Wand anzustarren.

Doch richtig behandeln lassen sich SAD-Symptome wie Lustlosigkeit, Energielosigkeit und Mattigkeit auch mit Lichttherapie. Sich eine UV-Lampe für den Schreibtisch zuzulegen, ist eine Überlegung wert. Manche schwören auch auf Vitamin-D-Präparate – diese sind rezeptfrei in jeder österreichischen Apotheke erhältlich. Wobei: Wissenschaftlich belegt ist das nicht. Zwar bekommst du im Winter weniger Sonne als im Sommer ab, aber zu einem Vitamin-D-Mangel führt das nicht zwingend. Denn dein Körper kann in den Muskeln und im Fettgewebe Reserven anlegen. Dazu reicht es schon, dreimal die Woche Sonne auf die Haut zu lassen (nur so lange, dass man keinen Sonnenbrand bekommt). Die Einnahme solltest du also vorher trotzdem mit einem Arzt abklären.

Zudem könntest du versuchen, deine Energie einzuteilen. Überlege dir, was dir wirklich Freude bringt. Und welche Menschen in deinem Leben vielleicht mehr Energie ziehen als geben.

Du verspürst einen Drang, allein zu sein, fühlst dich aber auch einsam?

Du sitzt in einem Seminar oder einer total überfüllten Vorlesung, kennst aber gefühlt keinen.  Du gehst in die Bib zum Lernen, findest aber nur einen Platz neben Fremden. Zu Hause sind deine Mitbewohner mal wieder alle mit sich selbst beschäftigt. Prüfungsphase halt. Dein Reflex ist, dich zurückzuziehen. Denn die Wahrheit ist, dass du dich momentan überall und jederzeit einsam fühlst – egal, wie viele Menschen sich physisch um dich herum befinden. Keiner trägt zum Zusammengehörigkeitsgefühl bei. Also wozu?

Wenn du es satthast, “allein” zu sein, ist es wichtig, das Problem nicht durch Isolation zu verstärken. Umzingle dich mit Familie und Freunden. Plane Zeit in jeden Tag ein, um mit ihnen persönlich, per E-Mail, Social Media, Sprachanruf oder Textnachricht in Kontakt zu bleiben. Rede mit Menschen, denen du vertraust, und teile deine Gefühle mit ihnen. Lass alles raus. Finde Aktivitäten, die dir Spaß machen, finde zurück zu einem alten Hobby oder nehme an einem Kurs teil, um etwas Neues zu lernen. Vielleicht triffst du ja mehr Leute mit ähnlichen Interessen.

Es fällt dir schwer, Self-Care zu betreiben?

Duschen fühlt sich wie ein Verdienst an. Es ist so viel einfacher, dein fettiges, verknotetes Haar in einen Messy Bun zu binden, als nach einer Bürste zu greifen. Gesicht waschen, Zähne putzen, Nägel schneiden – das ist alles zu viel verlangt. Du versteckst dich lieber vor der Welt. Isst nichts. Oder bestellst alle deine Mahlzeiten bei Lieferando. Das Fitnessstudio, die Homeworkouts oder das Training lässt du ganz aus.

Bist du einmal im sprichwörtlichen Depressionsloch drinnen, vergisst du nämlich, dass das, wofür du scheinbar keine Energie hast, genau das ist, was dir Energie gibt. Ein Bad zu nehmen. Den Dreck des Tages abzuschrubben. Eine frische Mahlzeit zu essen. Generell Maßnahmen zu ergreifen, die deine Gesundheit erhalten. Vernachlässigst du deine Selbstfürsorge, verlierst du immer mehr das Gefühl, diese verdient zu haben. Daher ist es wichtig, deine Routinen beizubehalten. Du kannst sie sogar mit entspannenden Aktivitäten ausbauen, statt dich selbst einzuschränken. Sei einfach nett zu dir. Geduldig mit dir.

Rettende Unterstützung

Die gute Nachricht ist also: Es gibt viele nichtinvasive Heilmittel für SAD. Bei allen Praktiken ist der Wert einer richtigen Psychotherapie und stärkeren Medikamenten – also Psychopharmaka – allerdings nicht zu unterschätzen. Da SAD mit dem Serotoninspiegel verbunden sind, werden häufig Antidepressiva der zweiten Generation gewählt, die auf Neurotransmitter abzielen. Unter diesen sind selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) eine häufige Wahl. Insbesondere Fluoxetin (Markenname: Prozac), wird vielfach zur Behandlung eingesetzt, aber auch Bupropion (Markenname: Wellbutrin). Der erste Schritt ist, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Fällt es dir schwer, die Energie dazu aufzubringen, oder ist die Hürde zu groß, dann wende dich an enge Vertraute. Frag sie, ob sie dir dabei helfen können. Menschen mit SAD können bürokratische Schwellen oft nur mit großer Mühe überwinden. Hilfe bei der Recherche und beim Telefonieren tragen zur rettenden Unterstützung bei.

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