Im vergangenen September fand die Uraufführung von „Gott“ in Deutschland statt. Nur wenig später wurde auch die hier rezensierte Buchform des Theaterstückes beim Verlag Luchterhand in München veröffentlicht.
Für manche mag es ungewohnt erscheinen, ein dramatisches Werk zu lesen, anstatt es auf der Bühne zu verfolgen. Dies bietet aber die Möglichkeit, trotz verschlossener Theatersäle und verwaister Schauspielbühnen, daran teilzuhaben.
Mensch und Gott im Kreuzverhör
Die Szenerie von „Gott“ stellt die Sitzung einer Ethikkommission dar. Diskutiert wird über den Fall des Richard Gärtner, der nach dem Tod seiner Frau sich selbst von seinem Leben trennen will. Trotz seiner völligen geistigen wie körperlichen Gesundheit möchte er von seiner Ärztin die tödliche Dosis eines Medikaments erhalten, um sein Leben zu beenden.
Auch wenn die gesetzliche Lage die ärztliche Beihilfe zum Suizid (in Deutschland) klar erlaubt, will die Ethikkommission die dahinterliegende ethische Frage erörtern.
Der frivole Rechtsanwalt Biegler des Herrn Gärtner tritt seinem Konterpart in Gestalt von Frau Dr. Keller entgegen. Gleich einem Kreuzverhör wollen diese beiden hören, was sich von den Vertretern aus Justiz, Medizin und Kirche vernehmen lässt.
Mit seinen unverblümten Fragen setzt Biegler besonders dem Bischof Thiel im Kreuzverhör gehörig zu. Auf ihn eindringend, dringt er immer weiter vor, bis schließlich, statt der des Herrn Gärtner, vielmehr die Gretchenfrage im Raume steht.
Zum Ende des ersten Aktes fordert die Vorsitzende den Ethikrat schlussendlich auf, zur Abstimmung zu schreiten und vermeintlich Klarheit in die Sache zu bringen.
Publikumsjoker
Die Szenerie des gesamten Werkes bindet den Leser bzw. das Publikum von Beginn an mit ein. Die Vorsitzende der Ethikkommission wendet sich direkt an die Zuschauer als ob sie die Mitglieder des Ethikrates wären, die über die Sache zu entscheiden haben. Die Gegenüberstellung und die Abhandlung der Argumente passt nicht nur zur Szenerie des Werkes, sie verschafft dem vielleicht noch unbefangenen Leser gleichsam Einblick in die Kontroverse. Man könnte meinen, dadurch bekäme das Stück einen beinahe schon didaktischen Charakter. Jedoch gelingt es, durch die provokative Art des Anwalts Biegel und die zum Teil emotional aufgeladenen Wortwechsel das dramatisches Wesen des Werkes zu erhalten.
Von Schirach wagt sich mit diesem Theaterstück an eine gesellschaftlich durchaus brisante wie aktuelle Frage. Der Autor maßt sich dabei jedoch nicht an, dem Leser eine endgültige Antwort darauf liefern zu wollen. Es gibt kein festgeschriebenes Ergebnis der Abstimmung des Ethikrates. Ähnlich wie in von Schirachs früherem Theaterstück „Terror“ wird auch hier das Publikum selbst eingebunden und am Ende des ersten Aktes zur Abstimmung aufgerufen. Bei „Gott“ handelt es sich also nicht um ein Werk zur bloßen Unterhaltung. Es ist viel mehr als das. Es will die Diskussion in der Gesellschaft fördern und die Menschen zum Nachdenken bewegen.
Theater ohne Bühne
Wie kaum ein anderes Stück Theater, verlangt dieses Werk nach einer Bühne und einem Publikum. Seine volle Wirkung vermag es wohl in keiner anderen Form zu entfalten. Als ein kleiner Trost für die Leser des Buches bleiben die dort angehängten Essays verschiedener Experten, die eine weitere Reflexion des Themas fördern.
Jenen, die nicht bis zur Wiederöffnung der Schauspielstätten warten wollen, bietet sich neben dem Lesen des Theaterstücks in Buchform noch eine weitere Möglichkeit.
Am Montag, dem 23. November 2020 um 20:15 Uhr wird sowohl im Ersten als auch auf SRF1 die Verfilmung von „Gott“ ausgestrahlt. Wie im Stück vorgesehen, wird es auch hierbei eine Abstimmung geben, an der sich alle Zuseher beteiligen können. Die Ergebnisse derselben werden in jeweils daran anschließenden Sendungen präsentiert und diskutiert.