Ein Spiel mit der Kunst

von Simon Riegler
Lesezeit: 6 min
Jason Allen gewann im August 2022 mittels der künstlichen Intelligenz Midjourney einen Kunstwettbewerb. Der anschließende Aufschrei war groß: Kann nun jede:r nur mit Hilfe einer KI zum/zur Künstler:in werden? Ein Selbstversuch.

Vor einigen Wochen stand die Kunstwelt still: Der 35-jährige Jason Allen gewann mit seinem Bild Théâtre D’opéra Spatial den ersten Preis beim Colorado State Fair Wettbewerb in der Kategorie für aufstrebende digitale Künstler:innen. Das Besondere: Er hat sein Bild nicht selbst gemalt, sondern mittels einer KI generiert. Allen lebt in der Nähe von Colorado Springs, leitet ein Unternehmen für Fantasy-Brettspiele. Wie er selbst in mehreren Interviews bekannt gab, sieht er sich nicht als Künstler und hat dementsprechend auch noch nie an einem Kunstwettbewerb teilgenommen.

Jason Allen nutze für seinen Coup die KI Midjourney des gleichnamigen Forschungslabors. Diese unabhängige Einrichtung beschäftigt sich mit dem Erforschen neuer Denkmedien und dem Erweitern der Vorstellungskraft der Menschen. Hauptaugenmerk: künstliche Intelligenz und Design. Aus dieser Leitidee heraus entstand vor einigen Monaten schlussendlich auch die hauseigene künstliche Intelligenz Midjourney. Midjourney ist bei weitem nicht die einzige KI, die Texte in Bilder verwandeln kann. Der Markt wurde in den letzten Jahren von zig Anbietern geflutet und erreicht erst seit kurzem sein womöglich volles Potenzial.

 

Bild: Jason Allen

Théâtre D’opéra Spatial von Jason Allen, kreiert mit der KI Midjourney.

 

Die vermeintliche Spielerei mit künstlicher Intelligenz ist schon seit einiger Zeit keine Spielerei mehr. KIs finden ihren Einsatz in jedweden Bereichen unseres Lebens von der Sprache über Musik und bildender Kunst bis hin zu sozialen Medien und ganz alltäglichen Dingen wie Navigationsprogrammen, Autos, Haushaltsgeräten und auch auf Webseiten in Form von Chatbots und personalisierter Werbung. Es gibt zig frei zugängliche Beispiele, die das Potenzial, aber auch die Gefahr künstlicher Intelligenz aufzeigen: Übersetzer wie DeepL ermöglichen eine beinahe inhaltsgetreue Übersetzung von unzähligen Sprachen, Text-KIs wie InferKit hingegen können auf Basis weniger Sätze ganze Geschichten generieren und dabei eine gewisse Kohärenz bewahren und Chat-Bots wie jener von der Uni Innsbruck ermöglichen es, bereits im Voraus gewisse Fragen zu klären, ohne dass eine reale Person in den Chatverlauf eingreifen muss.

Ein Selbstversuch als KI-Künstler

Nach einer kurzen Recherche stellt sich heraus, dass Midjourney für alle frei zugänglich ist. Ich wage den Selbstversuch, möchte aus erster Hand erfahren, wie einfach oder auch schwer es sein kann, Bilder mit einer KI zu erzeugen. Einzige Hürde: Das Erstellen eines Discord-Accounts. Über die Webseite des Forschungslabors Midjourney kann man auf den gleichnamigen Discord-Server zugreifen, auf welchem man selbst die KI in ihrer vollen Bandbreite ausprobieren kann. Der Discord-Server von Midjourney verfügt über unzählige Kanäle, in denen Begeisterte miteinander kreieren und diskutieren. Der Server selbst zählt über 3 Millionen Mitglieder – der Andrang scheint groß zu sein.

Jede Kreation beginnt mit dem Befehl /imagine. Dann folgen Worte und Sätze, aus denen die KI schlussendlich das finale Bild erstellt. Die KI braucht für die Bilder dabei nur wenige Sekunden bis Minuten. Meine ersten Versuche beinhalten nur einzelne Worte. Andere, die ebenfalls mit mir ihr Glück versuchen, wirken schon erfahrener. Sie scheiben komplette Sätze, verbinden diese mit Befehlen und füttern die KI mit unzähligen Ideen. Meine ersten Bilder misslingen, die KI kann beinahe nichts mit meinen Vorstellungen anfangen. Ich gehe nochmal einen Schritt zurück, lese mir Tipps und Eindrücke von anderen Nutzer:innen in den dafür bereitgestellten Channels durch und probiere mein Glück erneut. Ich kann die anfänglichen Startschwierigkeiten überwinden, werde geübter mit Midjourney:

Ich verschmelze Arnold Schwarzenegger mit der Figur des Saul Goodman, ermögliche Innsbruck einen sonnigen Strand und lasse die Universität als Siedlungsmitte einer Kolonie auf dem Mond darstellen.

Die Kreationen werden nicht schlecht, sie erreichen aber auch bei Weitem nicht die Qualität anderer Bilder, die von Midjourney die Runde machen. Nach eigenen Angaben spielte Jason Allen etwa 100 Stunden mit der KI, ehe er mit seiner Kreation zufrieden war.

Es gibt neben der Eingabe von Wörtern und Sätzen auch eine Menge an Befehlen, mit denen man die Kreation des Bildes beeinflussen kann. Diese Befehle reichen von der Auswahl des Bildformats bis hin zur manuellen Entscheidung zwischen einer realistischen oder künstlerischen Darstellung. Alle Bilder, die von der KI erschaffen werden, können dann nochmals hochskaliert und detailgetreuer erzeugt werden; oder aber man kann aus dem bereits generierten Bild Abwandlungen erstellen, um das Motiv nur einer leichten Änderung zu unterziehen. Ich lese mich zu den unterschiedlichen Befehlen ein, versuche mich an ihnen und verbessere dadurch tatsächlich meine Bildkreationen. Van der Bellen und Schwarzenegger als Charaktere aus dem Cyberpunk-Universum, Innsbruck als Karikatur aus einem Studio-Ghibli-Anime und abstrakte Bilder von Katzen und dem Universum.

Einige Eindrücke meiner ersten Gehversuche mit Midjourney.

 

Die Möglichkeit der Unmöglichkeit

Ich schreibe mit einigen Midjourney-Begeisterten auf Discord. Sie zeigen mir ihre Kreationen und geben mir Tipps für meine kommenden Bilder. In vielen Gesprächen kristallisiert sich dabei vor allem ein Punkt heraus: Die KI gibt einem die Möglichkeit der Unmöglichkeit. Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Jede:r, sei er in bildender Kunst auch noch so unbegabt, kann mit wenigen Worten und Sätzen Bilder erschaffen, die teils nicht mehr von jener von Hand erstellter Kunst unterscheidbar ist. Die KI dient vielen Begeisterten als Werkzeug, mit welchem jedwede unmögliche Vorstellung zu einer Möglichkeit wird.

Nach meinen mehr oder weniger guten Versuchen mit der KI durchforste ich die anderen Channels, in welchen alle Benutzer:innen ihre Versuche veröffentlichen und besprechen können. Minutenlang scrolle ich mich durch entfernte Welten, täuschend echte Charakterporträts und abstrakte Bilder jedweder Art. Ich bin beeindruckt, wie kreativ und ausgereift die KI zu sein scheint, wenn man die richtigen Worte und Befehle eingibt. Wie eindrucksvoll Midjourney ist, zeigt bereits diese kleine Bilderreihe. Alle hier unten angeführten Bilder wurden mit Hilfe der KI erstellt.

Einige Eindrücke von Kreationen mit Midjourney.

 

Die Kunst ist tot? Lang lebe die Kunst!

Der Aufschrei war groß, als Jason Allen bekannt gab, mit Hilfe von Midjourney einen Kunstwettbewerb gewonnen zu haben. Vor allem in den sozialen Netzwerken Twitter und Reddit formten sich zwei Lager, die wochenlang über die Teilnahme von Allen und die daraus folgenden Konsequenzen für die Kunstwelt diskutierten. Die Essenz dieser Diskussion:

Stirbt die Kunst, wenn jede:r Kunst auf Knopfdruck erstellen kann?

Auf der einen Seite finden sich Künstler:innen, die um ihre Arbeit bangen, um die Kreativität und Leistung, die in ihre Kunstwerke fließen, und um ihren Arbeitsplatz, der durch künstliche Intelligenzen wie Midjourney bedroht zu sein scheint. Auf der anderen Seite hingegen finden sich vor allem Technik-Enthusiast:innen, die sich über die schier endlosen Möglichkeiten der Digitalisierung freuen und in dieser KI erste Gehversuche im unendlichen Äther der technologischen Möglichkeiten sehen. Jason Allens Teilnahme stellt die Kunstwelt vor eine Vielzahl an Fragen, die erst in den kommenden Jahren zu einer Antwort finden werden: Wer ist der Künstler? Sind es die Programmierer:innen der KI? Oder jene, die die KI mit Worten und Sätzen füllen? Oder ist es gar die KI selbst? Und wem gehören schlussendlich die Bilder, wer kann Anspruch darauf erheben, der/die Inhaber:in der Bilder zu sein? Und schaffen wir unsere kreativen Mitmenschen nicht selbst ab, wenn deren Arbeit bereits in einigen Jahren von KIs übernommen werden könnte?

Schlussendlich ist die KI aber vor allem eines: beeindruckend. Sie zeigt, wie schnell sich Technologie in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Und gibt einem zu denken, welche Erfindungen in den kommenden Jahren noch Realität werden (könnten).

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