Bei der Premiere von Verdis Oper Falstaff am Samstag, dem 5. Oktober, sind einige Plätze im Publikum leer geblieben. Vielleicht hat das damit zu tun, dass das Tiroler Landestheater in den letzten Monaten vor allem durch Negativschlagzeilen auffiel: Das Theater stecke in der Krise, die Besucherzahlen seien stark geschwunden und zwischen Intendantin und kaufmännischem Direktor tobe ein bitterer Machtkampf, berichteten Medien. Doch wer sich von der schlechten Publicity abschrecken ließ und dem Theater fernblieb, hat an diesem Abend verloren. Denn die Inszenierung von Falstaff unter der Regie von Tobias Ribitzki ist durch und durch gelungen. Die Darsteller:innen zeigen sich stimmgewaltig und schauspielerisch ausdrucksstark, musikalisch lässt das Tiroler Symphonieorchester (unter der Leitung von Matthew Toogood) keine Wünsche offen, und Bühne und Kostüme (von Stefan Rieckhoff) schaffen ein ästhetisch stimmiges Bild. Das Resultat ist eine kurzweilige und durchgängig unterhaltsame Darbietung, die einfach funktioniert.
In zweieinhalb Stunden Schadenfreude zum Opern-Erfolg
Mit Falstaff traute sich Giuseppe Verdi 50 Jahre, nachdem seine erste Komödie vom Publikum in der Mailänder Scala förmlich in der Luft zerrissen wurde, erstmals wieder an eine komische Oper. Das Libretto stammte von Arrigo Boito auf Basis des Shakespeare Stoffes Die lustigen Weiber von Windsor und konnte den Shakespeare-Liebhaber Verdi, der sonst eher für Tragödien wie Aida bekannt ist, im Alter von fast 80 Jahren noch einmal aus dem Ruhestand locken. Die Uraufführung fand diesmal großen Anklang und versöhnte den großen Komponisten mit dem Komödien-Genre. Seitdem gilt Falstaff als Opern-Klassiker.
Der namensgebende Protagonist Sir John Falstaff ist ein Lebemann, ein Säufer und ständig in Geldnöten. Um seine Kassen aufzubessern, schmiedet er einen Plan: Er will sich die Gunst einer reichen Dame sichern. Doppelt hält besser, denkt sich Falstaff, und schreibt zu diesem Zwecke gleich zwei identische Liebesbriefe an Mrs. Alice Ford und Mrs. Meg Page. Zu blöd nur, dass die beiden Frauen beste Freundinnen sind und Falstaffs Trick durchschauen. Für seine Unverfrorenheit wird Falstaff die nächsten zwei Stunden von den Damen an der Nase herumgeführt, bestraft und ordentlich ausgelacht. Zugegebenermaßen, ein gesundes Maß an Schadenfreude ist als Zuseher Voraussetzung – doch dann gibt es viel zu lachen. Verkompliziert wird die Handlung noch durch Alices Mann Ford, der die Affäre zwischen Falstaff und seiner Gattin für echt hält. Außerdem liegt er im Clinch mit Tochter Nannetta, weil er es ihr nicht gestatten will, ihren Liebhaber Fenton zu heiraten. Es sind klassische Shakespeare-Konstellationen, die für viel Dynamik sorgen und sich am Ende aber selbstverständlich doch zum Guten auflösen.
Frauen und Handlanger überzeugen
Am Tiroler Landestheater erwecken die Darsteller:innen die Charaktere zum Leben. Falstaffs Handlanger Bardolfo (Jason Lee) und Pistola (Oliver Sailer) sorgen von der ersten Szene an für viel Gelächter. Auch die Frauen sind durch die Bank stark. Müsste man eine hervorheben, wäre es wohl Anastasia Lerman als Nannetta: Sie sieht im Sixties-Look, der an Megan Draper aus der Serie Mad Men erinnert, nicht nur entzückend aus, sondern ist durch ihre lebendige Mimik ein unfassbar witziges Highlight. Als Zuschauerin will man mit den Augen gar nicht zu lang auf dem übersetzten Liedtext neben der Bühne verweilen, um keinen Gesichtsausdruck, keine Geste zu verpassen. Aber auch Christiana Oliveira als Alice und Abongile Fumba als Mrs. Quickly sorgen mit ihrer ausdrucksstarken Darstellung für beste Unterhaltung. Jacob Phillips als scheiternder Patriarch Ford bleibt ebenso im Gedächtnis.
Interessanterweise verblasst der namensgebende Falstaff (Johannes Maria Wimmer) gegenüber den kleineren Rollen ein wenig: Er sorgt für vergleichsweise wenige Lacher. Schauspielerisch sind andere Darsteller:innen überzeugender. Gesanglich ist die Darbietung aber einwandfrei, und Wimmer erntet am Ende viel Applaus vom Publikum.
Visuell stimmiges Spiel
Bühnen- und Kostümdesigner Stefan Rieckhoff siedelt das ganze Spiel in den frühen Sechziger-Jahren an: Die ausgestellten Silhouetten der Röcke nach Christian Diors New Look erinnern noch an die Fifites, während die geraderen Schnitte an Meg und Mrs. Quickly schon mehr in Richtung Jackie Kennedy gehen. Das ist vielleicht nicht sofort naheliegend – der Basisstoff entstammt dem 17., die Oper selbst dem 19. Jahrhundert –, doch es funktioniert. Farblich sind die Kostüme vor allem in schwarz-weiß gehalten. Punktuell gesetzte rote Akzente, in Form von Haarbändern, Krawatten und Halstüchern, tanzen über die Bühne und schaffen visuelle Anhaltspunkte. Das Bühnenbild und die Requisiten werden klug eingesetzt, es fehlt an nichts, ohne dass die Gestaltung ausartet. Ästhetisch ist Falstaff stimmig: reichhaltig, aber nicht überladen.
Insgesamt verbringt man hier einen Abend ohne eine langweilige Sekunde. Sogar Opernmuffel oder -anfänger:innen könnten auf ihre Kosten kommen: Wenn sich eine Oper für den Einstieg eignet, dann Falstaff. Das liegt nicht nur an der eingängigen Musik von Verdi und dem dynamischen Ausgangsstoff, die die besten Voraussetzungen liefern, sondern auch an der gelungenen Umsetzung am Landestheater.
Falstaff läuft noch bis Dezember im großen Haus des Tiroler Landestheaters. Karten gibt es für alle unter 27 Jahren um 40 Prozent ermäßigt.