Journalismusfest 2024: „Genau hinsehen, was geschieht“

von Laura Klemm
Lesezeit: 6 min
Das diesjährige Journalismusfest war vor allem eines: vielfältig. Am vergangenen Wochenende konnten 60 Events an 25 Standorten in ganz Innsbruck besucht werden. Die UNIpress-Redaktion war unter den mehr als 6500 Besucher:innen.

„Genau hinsehen, was geschieht“ – unter diesem Leitspruch, einem Zitat von Ilse Aichinger, wurde das diesjährige Journalismusfest abgehalten, auch bekannt als Internationale Tage der Information. Informiert haben die zahlreichen anwesenden Medienschaffenden über eine große Bandbreite an Themen, und das auf sehr unterschiedliche Art und Weise:  Nicht selten in klassischen Gesprächsrunden, aber auch experimentell in Form von Slam Poetry oder sogar Theater. Die meisten Veranstaltungen waren kostenfrei für die gesamte Innsbrucker Öffentlichkeit und das angereiste Publikum zugänglich. Es folgt ein Rückblick auf eine kleine Auswahl an spannenden Events.

„Verbrennen Medienfrauen am digitalen Scheiterhaufen?“

Foto: Rachel Mabala

Claudia Reiterer, österreichische Fernsehmoderatorin und Journalistin, moderiert seit 2017 die ORF-Sendung Im Zentrum. Nach zahlreichen Grußworten durch die Lokalpolitik erzählt Reiterer in ihrem Vortrag zur Eröffnung des Fests eindringlich von (Medien-)Frauen, die im Netz zur Zielscheibe von Hass und Hetze werden. Die Analogie der Hexenverbrennung ist dabei nicht zufällig gewählt: Denn nicht selten wird Reiterer online als Hexe bezeichnet, anderweitig beleidigt oder erfährt Androhungen von sexueller und roher Gewalt. Ihre Erfahrung ist dabei nur eine von vielen: Medial werden Frauen strukturell diskreditiert, beleidigt und bedroht. Reiterer warnt in diesem Zusammenhang vor KI und Deep Fakes. Bildmaterial aus ihrer Sendung wurde bereits manipuliert und gegen sie verwendet – was sich mit weiteren technischen Entwicklungen wohl häufen wird. Reiterer spricht auch über die Unterrepräsentation von Frauen in der Medienwelt. Die Ironie hinter der Eröffnungsveranstaltung: Weil die Politiker ihre vorgesehene Redezeit überschritten, musste Reiterer ihren Beitrag von einer Stunde auf eine halbe kürzen.

Martin Thür, die Slipeinlage und der Gartenzwerg

Außerdem vom Bundes-ORF in Wien kam Martin Thür – ZIB2-Moderator und, wie sich herausstellte, ein richtiger Publikumsmagnet. Im Treibhaus führte er durch die Ausstellung seiner Sammlung an Wahlkampfgeschenken. Für dieses Hobby jagt er auf Ebay nach Gegenständen, die die bewegte politische Geschichte Österreichs einmal ganz bildlich und haptisch erzählen. Unter anderem darunter: Eine wiederverwendbare Slipeinlage, bedruckt mit dem Namen von Grünen-Kandidatin Monika Vana, Support-Stufe: für leichten Fluss. Ob man damit wohl die richtige politische Botschaft gesendet habe, fragt sich Thür und lacht. In der Sammlung macht sie sich jedenfalls gut.

Außerdem kurios: Die Playboy-Ausgabe, für die der langjährige Bundeskanzler Bruno Kreisky ein Interview gab. Ein Gartenzwerg mit Sonnenbrille und Schild mit Aufdruck „Diesmal darf’s ein Roter sein“, Handschrift: SPÖ Vorarlberg (eine Leihgabe von Christian Willim, Tirol-Korrespondent des Kurier). Eine Erwin-Pröll-Actionfigur zur Niederösterreicher Landtagswahl 2003, „unverkäuflich, aber am 30.03.2003 lebensgroß wählbar“. Und natürlich eine Vielzahl an Flyern, Prospekten und anderem Printmaterial, ab der ersten Wahl der zweiten Republik. Schon früh ging es rhetorisch grob zu: Auf den ersten Wahlplakaten Österreichs neugeborener Demokratie beleidigten sich politische Gegner gegenseitig unter anderem als Esel. Fröhlicher hingegen: Ein Plakat aus dem Jahr 1994 verkündet der Linzer Bevölkerung großen Anlass zur Freude – „Jörg Haider kommt!“ Und auf einer Karte steht prominent „Österreich zuerst“. Was Trump’sch anmutet, hat schon Bundespräsident Thomas Klestil für sich beansprucht.

Foto: Alena Klinger

„Alternative Medien unterstützen einander“

Was sind alternative Medien, und wie arbeiten sie? Dieser Frage wird in der Gesprächsrunde zwischen Rebecca Sandbichler (Straßenzeitung 20er), Lukas Ladner (UND Magazin) und Elisabeth Grabner-Niel (aep-informationen) nachgegangen, moderiert von Studierenden des Medien-Masters der Universität Innsbruck. Der Begriff „alternativ“ ist in diesem Zusammenhang kontrovers – nicht selten bezeichnen sich so rechte Blogs und Chatgruppen auf Telegram. Alternative Medien beschreiben aber auch etwas anderes: Medien etwa, die alternativ, beispielsweise durch Straßenverkäufe, vertrieben werden, bei denen marginalisierte Gruppen im Fokus stehen oder die eine Gegenöffentlichkeit darstellen. Vor diesem Hintergrund definieren sich alle anwesenden alternativen Medien als alternativ: Die aep-informationen beispielsweise als Sprachrohr einer aktiven feministischen Szene, „mit analytischem Ansatz und Perspektiven auf Veränderung“.

Die Arbeit bei einem unabhängigen, alternativen Medium ist dabei zeitgleich oft auch eine Arbeit im Prekariat. Wer bei den aep-informationen schreibt, schreibt ehrenamtlich – und das muss man sich leisten können, sagt Grabner-Niel. Auch das UND Magazin stand schon kurz vor dem Aus, sagt Ladner, konnte sich aber letztendlich retten. Das Ziel des UND Magazins: Verschiedenen Menschen und Perspektiven eine Plattform geben – das geschieht beispielsweise durch Open Calls. Auch Sandbichler von der Straßenzeitung 20er spricht über ihre Arbeit als Chefredakteurin, die gleichzeitig Sozialarbeit ist: Nicht selten kommen die Straßenverkäufer:innen der Zeitung in die Redaktion, weil sie kein Dach über dem Kopf haben oder Hunger leiden. Diese Unmittelbarkeit betreffe auch die Berichterstattung. Ein Redaktionsmitglied der aep-informationen sagte einmal, erzählt Grabner-Niel: „Wir schneiden uns die Zeitschrift aus dem Fleisch heraus.“

„In Israel, it’s still October 7th“

Was eigentlich als Dialog zwischen Ahmed Alnaouq, Journalist aus Gaza und derzeit in London, und Tamar Tsvaigrach, der leitenden Redakteurin der israelischen Zeitung Haaretz, hätte stattfinden sollen, ereignet sich am Sonntag in zwei voneinander getrennten Veranstaltungen. Um zu betonen, dass es eben nicht zwei Perspektiven, sondern zahlreiche gibt, sagt der Leiter des Journalismusfests Benedikt Sauer – und um Tsvaigrach und Alnaouq jeweils genügend Raum für ihre Einschätzungen zu geben. Im Gespräch mit der Journalistin Inge Günther spricht Alnaouq in der ersten Veranstaltung über Herausforderungen für die Berichterstattung in Zeiten des Krieges. Auch Tsvaigrach teilt dazu ihre Einschätzung im anschließenden Gespräch mit dem Literatur- und Medienwissenschaftler und Leiter des Jüdischen Museums Hohenems Hanno Loewy.

Seit dem 7. Oktober hätten Journalist:innen eine neue, große Aufgabe, sagt Tsvaigrach: Die Zeitung Haaretz beispielsweise sieht sich nun anstelle der Politik in der Verantwortung, die Bevölkerung objektiv und kritisch zu informieren, teilweise ersetze sie sogar die Polizei. Tsvaigrach erzählt, wie Besucher:innen des Festivals, das die radikalislamistische Hamas am 7. Oktober angriff, ihrem Kollegen bei Haaretz ihre Standorte schickten und ihn baten, sie zu retten. Er war es schließlich, der den Polizeichef mit den Informationen versorgte. Für große Teile der israelischen Bevölkerung sind Tsvaigrach und ihre Kolleg:innen „Leftist Traitors“. Es habe einen Rechtsruck in der israelischen Bevölkerung gegeben, auch in linken Kreisen herrsche wenig Empathie für die Palästinenser:innen im Gaza-Streifen, der Diskurs habe sich in den Mainstream-Medien seit dem 7. Oktober kaum differenziert. Tsvraigrach sagt: „In Israel, it’s still October 7th.“ Anlaouq teilt, dass aus dem Gaza-Streifen nur wenig Informationen herausgetragen werden, was eine ausführliche Berichterstattung durch die Medien erschwere. Bei all den teils verschiedenen Einschätzungen durch Alnaouq und Tsvaigrach bleibt aber eines indiskutabel, betont Loewy: Der Krieg müsse aufhören, dem Leid ein Ende gesetzt werden.

Schreibe einen Kommentar

* Durch die Verwendung dieses Formulars stimmst du der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website zu.

Artikel aus der selben Rubrik