“Theater ist ein Labor für Demokratie”

von Elena Rieger
Schlagwörter: Lesezeit: 6 min
Spielt das Theater überhaupt noch eine Rolle im Rampenlicht der Gegenwart? Ein Dialog mit Theaterpädagogin Daniela Oberrauch vom Tiroler Landestheater holt die Bühne vor den Vorhang.

Kulturkonsum findet zunehmend digital statt, und das Tiroler Landestheater ist mit Herausforderungen durch einen Intendantenwechsel und rückläufigen Besucherzahlen konfrontiert. Welchen Wert hat Theater heutzutage noch in der Gesellschaft? Daniela Oberrauch, erfahrene Theaterpädagogin am Landestheater, bietet einen Blick hinter die Kulissen. Sie spricht über aktuelle Entwicklungen, die Lust am Entdecken und darüber, warum das Theater in seiner Form einzigartig ist und bleibt – besonders für junge Leute, die im Spiel auf der Bühne einen lebendigen Bezug zu sich selbst und ihrer Umwelt finden können.

Frau Oberrauch, Theaterpädagog:innen arbeiten viel mit jungen Menschen. Welche Bedeutung hat das Theater heute noch für diese Gruppe?

Ich glaube, dass das Theater ein Labor für Demokratie ist und dass junge Menschen  auch wissen, dass sie sich dort ausprobieren können. Sie können ausprobieren, wie soziale Zusammenhänge funktionieren und wie sie selbst sozial funktionieren. Aber sie können sich auch künstlerisch ausdrücken. Ich glaube, dass die Kinder und Jugendlichen das wissen und danach brennen, an so etwas teilzunehmen. 

Begegnet man in der Arbeit nicht auch manchmal Vorurteilen gegenüber dem Theater als „veraltete“ Institution?

Mit Vorurteilen bin ich eigentlich nie konfrontiert. Es ist vielmehr Neugier und Lust darauf, etwas zu entdecken. Natürlich gibt es noch immer sehr konservatives Theater, was seine Berechtigung hat, weil es noch immer Menschen gefällt und daher funktioniert. Allerdings glaube ich, dass viele junge Leute diesen konservativen Theaterbegriff mancher Erwachsener nicht kennen. Sie denken nicht mehr: „Was bringt mir das?“ Denn an sich geht es im Theater immer um das „Was hat das mit mir zu tun?”

Daniela Oberrauch

Daniela Oberrauch liegt als Theaterpädagogin die kreative Entfaltung junger Menschen am Herzen. / Bild: Daniela Oberrauch.

Besonders für diese junge Generation wird dem Theater oft ein Bildungsauftrag zugeschrieben. Ist das eine realistische Aufgabe des Tiroler Landestheaters?

Ja, denn Theater ist eine der wenigen Möglichkeiten, wo einem Bildung nicht unbedingt vorgesetzt wird, sondern ein Anteil von dem ist, was man sieht. Für mich ist das ein wichtiger Anteil, weil es nicht so funktioniert wie Frontalunterricht, wo nur Fakten und Daten gelehrt und erklärt werden, sondern eine Beziehung hergestellt wird. Im Spiel der Schauspieler:innen wird immer eine Beziehung zum Publikum hergestellt. Durch diese Beziehung zum Stoff und den Figuren auf der Bühne, die gesehen und wahrgenommen werden, lernt man etwas über den emotionalen Weg, der total wichtig für uns Menschen und unsere Entwicklung ist. 

Die aktuelle Lage und insbesondere die sinkenden Besucherzahlen werfen jedoch die Frage auf, ob Zielgruppen noch sinnvoll erreicht werden können.

Es ist völlig normal, dass bei einem Intendantenwechsel die Besucherzahlen zunächst sinken – das ist auch im internationalen Vergleich zu beobachten. Diese Entwicklung ist eine natürliche Reaktion und hat weniger mit Zielgruppen zu tun. Theater funktioniert nur, wenn es sich ständig weiterentwickelt, und das Publikum reagiert darauf auf unterschiedliche Weise. Ich glaube nicht, dass wir inhaltlich an unserem Zielpublikum vorbei arbeiten. Vielmehr verändert sich das Publikumsverhalten ständig. 

In der langen Geschichte des Theaters gibt es immer Phasen, in denen diese Veränderung stagniert, oder in denen sich wieder ein Hype um das Theater entwickelt. Ich bin überzeugt, dass der Weg, den wir als Landestheater einschlagen, der richtige ist – vor allem, weil wir gezielt darauf setzen, auch ein jüngeres Publikum anzusprechen. Gerade durch die aktuellen Debatten fühle ich mich in meiner Arbeit bestärkt und das Feedback von Kindern und Jugendlichen zeigt uns, dass das, was wir ihnen bieten, ihnen sehr guttut.

Welche Formate kommen da zum Beispiel besonders gut an?

Ich glaube, für junge Menschen ist es immer gut, wenn sie selbst aktiv teilnehmen können. Wir veranstalten im Landestheater etwa einen Jugendclub, wo Jugendliche selbst Stücke probieren und auch aufführen. Man sieht über die Jahre, dass aus diesen Gruppen Menschen herauswachsen, die dann auch regelmäßig selbst als Besucher ins Theater gehen und die Position des Publikums einnehmen wollen, weil sie sich dafür interessieren, wie andere auf der Bühne agieren. Das ist sicher ein wirkungsvolles Format. Eine schöne Mischung aus „Ich darf selbst spielen“ und „Es gibt Stücke, die mich politisch oder sozial interessieren und mich dadurch wachsen lassen“.

Es ist aber nicht unüblich, dass Kulturkonsum vermehrt auf Netflix und Co. statt vor oder auf der Bühne stattfindet. Was bietet das Theater, das solchen Plattformen fehlt?

Der Unterschied ist, dass das meiste, was digital genutzt werden kann, in einer isolierten Einzelsituation stattfindet. Dabei wohnt uns Menschen das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Beziehung inne, was das Theater als Format beinhaltet. Dass Menschen sich derzeit gerne isoliert unterhalten lassen, ist vielleicht nur eine wellenhafte Bewegung, die vorbeigehen oder nachlassen wird. Der Mensch sucht grundsätzlich die Gesellschaft, den Austausch mit anderen.

Wie prägt Sie das Theater in Ihrem Leben?

Ich würde sagen, dass ich schon ein Mensch bin, der auch öfter mal Vorurteile hat, aber immer im Diskurs bleibt und sich freut, Neues zu entdecken. Ich liebe es, wenn meine Vorurteile durch Theater widerlegt werden, durch Erfahrungen mit Menschen im Theater oder durch Stücke, die eigentlich 150 Jahre alt sind und immer noch dieselbe Wichtigkeit in der jetzigen Gesellschaft haben. Da denke ich mir: „Super, die Leute haben es damals nicht besser gewusst und wissen es jetzt nicht besser, aber wir dürfen daran arbeiten, es besser wissen zu können.“ Ich sehe auch privat bei meinen Kindern diese extreme Offenheit, die Theater mit sich bringt, auch bei Fragen nach Diversität und Inklusion. 

Wie genau kann man sich diese Offenheit im Theater vorstellen?

Wir sind uns einig, dass alles Platz haben darf, und ich habe das Gefühl, dass man als sehr offener Mensch durchs Leben gehen kann, weil man im Theater so viel Offenheit erlebt. Etwa bei Themen, die vielleicht bei Menschen aus anderen Berufsgruppen oder Gegenden nicht so selbstverständlich sind. Wir gehen hier täglich damit um und es ist einfach eine Normalität bei uns, dass Diversität immer schon da war, immer bleiben wird und etwas Gutes ist. Theater wie unseres haben Personal und Mitarbeiter:innen, die aus allen Gegenden der Welt kommen. Bei uns werden verschiedenste Sprachen gesprochen und es gibt zwischenmenschlich keine Probleme, weil wir uns alle gegenseitig schätzen. 

Bild: Daniela Oberrauch

Junges Theater: Schon Kinder dürfen aktiv auf der Bühne mitwirken.  Bild: Daniela Oberrauch

Was würden Sie Leuten, darunter so manchen Studierenden, raten, die noch keinen Bezug zum Theater haben? 

Erst sollte man es mal ausprobieren und versuchen, es zu entdecken. Es gibt übrigens immer vergünstigte Karten und Angebote für Student:innen. Außerdem, und ich glaube, das ist gleich wie in der Demokratie, kann man immer Dinge verändern. Man kann immer Vorschläge machen, man kann sich immer fragen: „Was ist mein Anteil, was kann ich beitragen?“ Man könnte sich auch überlegen, dass etwas, das es schon mehrere tausend Jahre gibt, vielleicht tatsächlich auch wichtig für uns ist. Vielleicht hat es tatsächlich einen Wert. 

Abschließend:  Wie überzeugen wir diejenigen, die sagen, dass es das Theater nicht mehr braucht, vom Gegenteil?

Ich bin mir nicht sicher, inwiefern wir als Theater die Möglichkeit haben, Personen, die das ganz grundsätzlich ablehnen, umzustimmen. Doch vielleicht ist es wie so oft im Leben: Wenn jemand etwas total ablehnt, dann nehme ich die Person bei der Hand und zeige ihr meinen Blick darauf. Manchmal gelingt es, jemandem zu vermitteln, dass da etwas ist, das den- oder diejenige interessiert oder weiterbringt. Ich glaube, der persönliche Bezug ist immer der wichtigste. Urteilt nicht zu schnell und traut euch einfach mal, euch das Theater anzusehen.

 

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