Auf einem Hof in den Bergen und im nächsten Dorf spielt sich das Leben ab: Zwischen Klavierunterricht, dem Stammlokal des Vaters und Streit mit dem Jäger, wenn das Familienoberhaupt wieder beim Wildern erwischt wird. Die Jüngste der Familie, der „kleine Blattfloh“, ist immer mit dabei. In 21 Kapiteln verfolgt man das Erwachsenwerden von Helena Adlers Protagonistin. Diese lose aneinandergereihten Episoden sind mal komisch, ironisch, witzig, vulgär, grotesk und selten ernst. Die sprachlich gewandt gezeichneten Bilder zeigen sich teilweise erst beim zweiten Lesen vollständig, so schnell wechseln sie. Scheinbar mühelos reiht Adler die Vergleiche aneinander.
Und dies sehr gelungen. Den roten Faden verliert man da schon einmal und sucht ihn dann einige Seiten lang vergeblich. Diesen anzubieten war aber auch sicherlich nicht die Absicht der Autorin. Frech führt sie Leserinnen und Leser durch ihr gedankliches Werk und vielleicht auch durch einen Teil ihrer Kindheit. Wortgewandt werden die grausam-gemeinen Schwestern, die ambivalente Beziehung zur Mutter und das „wilde Vatertier“, das nur lieb zu seinen Kindern ist, beschrieben. Dabei fließt auch der Zeitgeist ein: Im Radio läuft Falcos Jeanny und im Adeg kauft sich die Protagonistin Beverly-Hills-Pickerl. Daraufhin baut sie Luftschlösser, sieht sich mit Brandon Walsh durch das Dorf spazieren. Der Bürgermeister füllt den Dorfbrunnen dann mit Sekt und Nutten und Arnold Schwarzenegger schneit herein. Kleine Mädchen wollen aussehen wie sie: Färben sich die Haare schwarz und malen das Gesicht weiß. Wäre die Situation nicht so absurd, müsste man an Schneewittchen denken.
Trotz oder gerade wegen der grotesken Bilder bleibt die Stimmung oft düster. Die Heranwachsende muss sich durchsetzen gegenüber den Schulkameradinnen, die nicht verstehen, warum sie sich mit einem jugoslawischen Flüchtlingskind anfreundet. Gleichzeitig kämpft sie mit der Mutter, die den Wunsch aufs Gymnasium zu gehen, nicht nachvollziehen kann. Dass die Urgroßeltern von Magd und Knecht zu Bauer und Bäuerin aufgestiegen sind, scheint der Familie schon genug zu sein, irgendwann überreize man den gesellschaftlichen Aufstieg schließlich. Die Schwestern sind dabei auch keine Unterstützung, die Kindheit durchzieht ein ständig währender Kleinkrieg. In diesem wird schon einmal auch zu radikaleren Methoden gegriffen:
Sie sitzen in ihren blutverschmierten Nachthemden auf dem Doppelbett wie Satans älteste Töchter. Der Kuhkopf neben ihnen lässt erschöpft die Zunge aus dem Maul hängen. Was für ein Bild!
Helena Adler zeigt in ihrem Buch alle möglichen Facetten des Dorf- und Bauernhoflebens. Vom Bettnässen über die Hassliebe mit dem Klavierlehrer bis hin zu ersten unfreiwilligen sexuellen Erfahrungen. Auch die Religion nimmt einen Platz in diesem Leben ein, gekonnt werden verschiedene Verweise platziert. Nicht nur einmal muss man als Leserin und Leser ob der absonderlichen und doch passenden Vergleiche schmunzeln. Das Werk weist einige erzählerische Schwächen auf, manche Zusammenhänge erschließen sich nicht genau, sind eher lose verbundene Episoden. Für die erste Hälfte – die kindlichen Erzählungen – ist dies nachvollziehbar, das Ende kommt dann aber doch jäh. Letztendlich überzeugt Adler mit Witz und Extravaganz – ein Kuriositätenkabinett in Buchform.