„Wer hätte 1990 gedacht, dass ein Vortrag über Quantenphysik einmal einen Hörsaal mit 600 Leuten füllen würde? Wohl niemand.“
So beginnt Vize-Rektor Gregor Weihs die Begrüßungsrede zum „Neujahrskonzert der Physik“, wie er es selbst nennt. Die Zuschaueranzahl von bis zu einer Milliarde Menschen weltweit, die die Wiener Philharmoniker erreichen, habe man zwar noch nicht geknackt. Doch schon der berstend volle Audimax-Saal im Agnes-Heller-Haus ist ein Beweis dafür, dass auch hochkomplexe Naturwissenschaft ein Straßenfeger sein kann.
Zumindest wenn Publikumsmagnet Anton Zeilinger sie vorträgt. Der 78-jährige Österreicher gilt schon lange als Physik-Erklärer der Nation, schrieb verständliche Bücher über Quantenphysik und teleportierte medienwirksam Teilchen zwischen La Palma und Teneriffa. Der Nobelpreis 2022 machte Zeilinger endgültig zum Star am Himmel der Wissenschaftskommunikation.
Einige seiner bahnbrechenden Arbeiten, für die ihm der prestigeträchtige Preis verliehen wurde, führte der Quantenphysiker in seiner Zeit an der Universität Innsbruck durch. Hier wirkte er von 1990 bis 1999 am Institut für Experimentalphysik, seit letztem Jahr ist er auch Ehrendoktor der Universität. Der öffentliche Vortrag am 11. Januar fungierte gleichzeitig als Reunion-Treffen der ehemaligen Mitglieder der Zeilinger-Gruppe, zu denen übrigens auch der Vize-Rektor für Forschung, Gregor Weihs, gehört.
Wundersame Quanten: die Würfel Gottes
In seinem Vortrag führt der Nobelpreisträger durch die Geschichte der Quantentheorie von ihrer Geburtsstunde im Jahr 1900 bis zur Gegenwart. Dabei ist ihm die Rolle des Zufalls besonders wichtig: Die Quantenphysik ist nämlich nicht mehr deterministisch, also von Ursache-Wirkung bestimmt, wie das die klassische Physik noch war. Stattdessen gibt es keinen Grund mehr, wieso ein Teilchen beispielsweise durch einen halbdurchlässigen Spiegel hindurch geht, ein anderes aber reflektiert wird. Der Prozess geschieht rein zufällig.
Außerdem sind laut der Quantenphysik die Eigenschaften von Teilchen, wie beispielsweise seine Geschwindigkeit, sein Ort oder seine Polarisation, bis zur Messung unbestimmt. Das Teilchen befindet sich in einer Überlagerung, einer Superposition, verschiedener Zustände. Erst wenn das Teilchen gezwungen wird, sich für einen Zustand zu „entscheiden“, nimmt es zufällig einen eindeutigen Zustand an.
Viele Menschen, auch Physiker:innen, haderten mit den kontraintuitiven Eigenschaften der Quantenphysik. Unter ihnen auch einer der ganz Großen: Albert Einstein selbst meinte, wenn die Vorhersagen der Quantentheorie so stimmen, wäre er lieber Schuster oder Angestellter in einem Casino als Physiker. Er könne sich nicht vorstellen, dass Gott würfelt. Niels Bohr soll geantwortet haben: Dem Herrgott macht man keine Vorschriften.
(Besonders ironisch: Moderne Spielbanken verwenden mittlerweile häufig Quantentechnologie in ihren Zufallsgeneratoren. Dem Quanten-Zufall könnte Einstein also auch bei dieser Berufswahl nicht mehr entkommen.)
Zukunftswünsche: Menschen teleportieren und mehr Offenheit in der Forschung
Zeilinger gilt als großes Erklärtalent. Das heißt aber nicht, dass die Zuschauer:innen nach dem Vortrag keine Fragen mehr haben. Nicht alle davon sind wissenschaftlicher Natur: Ob er denn an Gott glaube, fragt eine Frau. „Ein Journalist hat mich einmal gefragt, ob ich Atheist oder Agnostiker bin. Ich habe geantwortet, als Naturwissenschaftler bin ich Agnostiker. Aber als Mensch weder noch“, antwortet der Physiker mit einem Schmunzeln.
„Werden wir jemals Menschen teleportieren können?“, fragt ein anderer Zuschauer. Nun, das sei ein bisschen schwierig, da beim Teleportieren nur Zustände übertragen werden, nicht ganze Objekte transportiert. „Wenn Sie das aber ermöglichen wollen, gebe ich ihnen gerne die Kontonummer unseres Instituts bekannt.“
Trotz dieses Witzes macht Zeilinger klar: Oft scheitere es gar nicht an den finanziellen Mitteln, sondern eher daran, dass Menschen überhaupt erst auf neue, bahnbrechende Ideen kommen müssen. Gerade deswegen sei die Grundlagenforschung so wichtig.
Generell plädiert Zeilinger für einen offeneren Zugang zur Wissenschaft. Heutzutage müsse man schon bei Forschungsanträgen angeben, was man erreichen wolle und mit welchen Methoden. Wäre das in den Neunzigern schon so gewesen, hätte er viele seiner Experimente gar nie machen können, meint Zeilinger. Oft habe man nicht mal gewusst, wie man an die benötigten Bauteile kommen würde, da keine Firma diese herstellte. „Die musste ich dann basteln“, lacht Gregor Weihs aus dem Zuschauerraum.
Du musst der Nummer-Eins-Experte auf der ganzen Welt sein.
Nicht nur in der Forschung, sondern auch im Studium sei Offenheit und Flexibilität wichtig. Zeilinger hält nichts von den vielen Arbeiten, den Pflichtmodulen und der Verschulung des Studiums. Es überrascht deswegen nicht, dass sein Ratschlag für angehende Wissenschaftler:innen ist: „Folge deiner eigenen Nase.“ Eine gute akademische Lehrerin oder ein Mentor seien außerdem wichtig. Und, dass man sich richtig in etwas reinfuchst. „Wenn deine Arbeit an einem Thema abgeschlossen ist, musst du der Nummer-Eins-Experte in diesem Thema auf der ganzen Welt sein.“