„Die Erde zwischen Millionen von Sternen sehen“

von Sarah Embacher
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Seit Ende November ist Carmen Possnig Mitglied der ESA-Astronautenreserve. Im Interview erzählt sie von der Faszination des Alls, kosmischen Strahlen und was bei einer Weltraummission mit ins Gepäck muss.

Als die Europäische Weltraumorganisation ESA im Februar 2021 ankündigt, auf der Suche nach neuen Astronauten zu sein, geht eine Flut an über 22.000 Bewerbungen ein. Ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren beginnt, an dessen Ende ein neues 17-köpfiges Astronautenteam feststeht. Neben fünf Karriereastronauten, die sofort mit dem Training starten, wurden ein Astronaut mit Behinderung und elf Mitglieder für die Astronautenreserve ausgewählt. Eine von ihnen ist die Kärntnerin Carmen Possnig, die zurzeit an der Uni Innsbruck ihren Doktor macht. An einem Dienstagmorgen erscheint sie mit freundlichem Lächeln und markanter roter Brille zum Interview.

UNIpress: Als Reserveastronautin für die ESA könntest du die erste Österreicherin im All sein. Stehen bei dir also schon die gepackten Koffer im Flur bereit, falls es bald losgeht?

Carmen Possnig: So schnell würde das nicht gehen – es ist ja nicht so, dass die ESA einen Anruf bekommt, dass da mal eben ein Platz bei einem Flug ins All frei geworden ist (lacht).  Weltraummissionen werden über Jahre geplant, deswegen gibt es da auch lange Vorlaufzeiten für die Astronauten. Sollte jemand aus dem Reserveteam für eine Mission ausgewählt werden, muss man erst die Grundausbildung durchlaufen.

UP: Und wie läuft diese Grundausbildung dann konkret ab?

CP: Die findet größtenteils im EAC, dem Europäische Astronautenzentrum der ESA in Köln, statt. Zusätzlich trainieren die Astronauten in Houston bei der NASA und in Japan, da ein Modul der Internationalen Raumstation ISS dort gebaut wurde. Früher hat man auch viel in Russland trainiert, vor allem die Steuerung der Sojus-Rakete. Inzwischen fällt das aber weg, da die meisten Flüge mit SpaceX stattfinden. Und je nachdem, an welchen Experimenten man später im All arbeitet, besucht man noch verschiedene Forschungsteams, um sich vorzubereiten. Man ist also wirklich auf der ganzen Welt unterwegs!

UP: Für wie wahrscheinlich hältst du es, für eine Mission ausgewählt zu werden?

CP: Kurzfristig wird das sicher nichts werden. Die ESA hat fünf Karriereastronauten ausgewählt und deren erster Flug wird nicht vor 2026 sein. Dann gibt es noch die frühere Astronautenklasse aus sechs aktiven Leuten, die ja auch noch fliegen wollen (lacht). Im Moment gibt es also genug Astronauten bei der ESA, gleichzeitig passiert aber auch viel in der Weltraumforschung. Zum Beispiel wurde die Falcon-Rakete von SpaceX unglaublich schnell entwickelt und konnte schon nach ein paar Jahren Astronauten transportieren. Die ESA hätte bekanntlich auch gerne ihr eigenes bemanntes Raumschiff – also ergibt sich da vielleicht in Zukunft etwas.

UP: Warst du nicht ein bisschen enttäuscht, als du erfahren hast, dass du „nur“ Mitglied der Reserve bist?

CP: Wir haben erst einen Anruf bekommen mit der Information, dass wir im Astronautenkorps der ESA aufgenommen werden. Da war ich natürlich überglücklich, wusste aber noch nicht, ob ich Reserve- oder Karriereastronautin bin. Als ich dann zwei Wochen später erfahren habe, dass ich in der Reserve bin, war ich im ersten Moment schon ein bisschen enttäuscht. Gleichzeitig war ich schon auf diese Nachricht vorbereitet, da Österreich ein eher kleines Land ist, das nicht so viel in die Weltraumforschung investiert. Deswegen war ich dann doch erstaunt, dass ich es überhaupt so weit geschafft habe (lacht). Für Enttäuschung war auch gar nicht viel Raum, weil ich natürlich voller Adrenalin war und auch die Bekanntgabe der ESA zur Vorstellung des neuen Astronautenteams anstand.

UP: Wie hast du die diese Zeit erlebt? War der Medienrummel nicht total anstrengend?

CP: Es war spannend, im Vorfeld die anderen Astronauten bei der ESA kennen zu lernen. Wir haben auch ein Medientraining erhalten und die ESA hat die Interviews für uns gemanagt. Das hat sehr geholfen, weil wir zeitlich gar nicht alle Anfragen annehmen konnten. Direkt nach der Bekanntgabe des Astronautenteams war schon sehr viel los. Aber es war für mich auch echt schön zu sehen, wie die Journalisten, Leser und Hörerinnen an dem Thema interessiert sind und sich dafür begeistern.

UP: Wie ist es für dich, so im Mittelpunkt zu stehen?

CP: Die Situation war schon sehr gewöhnungsbedürftig für mich, da ich kein Mensch bin, der sich gerne in den Vordergrund drängt. Man muss schon darauf achten, dass man noch Zeit für sich selbst hat. Eine Zeit lang habe ich nichts anderes gemacht, als zu arbeiten und Interviews zu geben. Als Reserveastronauten sollen wir aber auch Sport machen und es wäre auch nicht schlecht, mental gesund zu bleiben (lacht). Inzwischen habe ich aber wieder meinen Ausgleich und diese zwei Stunden am Abend nur für mich, in denen ich abschalten kann.

© Paulette Chheav

UP: Seit 2020 machst du deinen Doktor am Institut der Sportwissenschaften der Uni Innsbruck. Woran forschst du genau?

CP: Wir untersuchen, welchen Einfluss die Schwerelosigkeit im All auf das Herz-Kreislauf-System des Menschen hat. Mein Fokus liegt dabei auf der Frage, ob sich der Blutfluss im Gehirn und in den Augen verändert. In Bettruhe-Studien auf der Erde hat sich nämlich gezeigt, dass sich der Blutfluss ins Gehirn schon nach wenigen Stunden verlangsamt. Die Frage ist nun, ob das in der Schwerelosigkeit auch so ist und welche Auswirkungen das auf die Astronauten hat. Der Blutfluss bringt schließlich Sauerstoff und Glukose ins Gehirn, um unsere kognitiven Fähigkeiten aufrecht zu erhalten. Wir möchten herausfinden, ob eine Verlangsamung des Blutflusses das Denkvermögen, die Konzentrations- und Merkfähigkeit oder auch die Sehfähigkeit von Astronauten beeinträchtigt.

UP: Wie kann man sich diese Bettruhe-Studien vorstellen? Finden die auch an der USI statt?

CP: Die Bettruhe-Studien dienen dazu, die Schwerelosigkeit auf der Erde zu simulieren. Die physiologischen Veränderungen bei Versuchspersonen, die über Tage, Wochen und Monate liegen, sind ganz ähnlich wie in der Schwerelosigkeit. In Innsbruck haben wir schon einige Vorstudien gemacht, bei denen wir verschiedenste Körperpositionen ausprobiert haben und beobachtet haben, wie sich der Blutfluss verändert. Gerade sind wir dabei, eine Studie zu planen, bei der die Versuchspersonen zwei Tage lang im Bett liegen werden. Wenn jemand Lust hat – wir suchen Probanden! (lacht)

UP: Hast du als Mitglied der Reserve auch noch andere Forschungsaufgaben im Auftrag der ESA?

CP: Die ESA betreibt viele verschiedene Experimente, zum Beispiel Parabelflüge, bei denen für ein paar Sekunden Schwerelosigkeit herrscht, oder auch eine 60-tägige Bettruhe-Studie, die beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR durchgeführt wird. Die ESA kann uns dann einladen, an ihrer Forschung mitzuarbeiten oder als Probanden teilzunehmen.

UP: Nebenbei musst du auch noch körperlich fit bleiben. Was sind da die Anforderungen?

Schon im Bewerbungsverfahren war eine Woche nur unserer körperlichen Gesundheit gewidmet und ab jetzt müssen wir jedes Jahr erneut einen Gesundheitstest bestehen. Da ist die Fitness ein wichtiger Aspekt: Im All bauen Knochen und Muskeln ab, weil sie weniger belastet werden. Um dem entgegenzuwirken, machen die Astronauten auf der ISS täglich zwei Stunden Sport. Man sollte also eine gewisse Sportlichkeit mitbringen, um sich für das Training motivieren zu können. Grundsätzlich muss man aber kein Profi-Athlet oder Olympiamedaillen-Gewinner sein, eine gewisse Basisfitness und Freude am Sport reichen aus. Mein persönliches Sportprogramm besteht aus Laufen und Yoga, dazu gehe ich mit den Kollegen aus der Sportwissenschaft als kleine Pause zu Mittag gerne ins Fitnessstudio. Vor Kurzem habe ich noch mit Schwimmen angefangen – ich habe gar nicht gewusst, wie viel man da falsch machen kann! (lacht)

UP: Was sind die größten Gefahren für den Körper, wenn man ins All fliegt? Geht das ohne bleibende Schäden?

CP: Das kommt sehr darauf an, wohin man fliegt. Bei einem Flug zum Mars gibt es eine erst kürzlich entdeckte Gefahr für die Augen. Die Anatomie des Auges verändert sich nämlich in der Schwerelosigkeit, sodass einige Astronauten weitsichtig werden. Diese Erkenntnisse stammen von Aufenthalten auf der ISS, die maximal ein halbes Jahr lang dauern. Bei einer Marsmission wäre man aber vermutlich mehr als drei Jahre lang im All. Die Frage ist, ob sich die Augen dann immer weiter verändern und man irgendwann gar nichts mehr sieht – das wäre natürlich schlimm. Dieses Thema stellt aktuell eines der Hauptprobleme für Langzeitmissionen dar und die Weltraumorganisationen versuchen, das zu erforschen und besser zu verstehen.

Zusätzlich kommt im All die kosmische Strahlung hinzu, die beim Menschen Krebs – und Schlimmeres – verursachen kann. Auf der ISS sind wir vom Magnetfeld der Erde noch gut geschützt, aber bei einem Flug zum Mars wären die Astronauten der kosmischen Strahlung und der Strahlung der Sonne über einen sehr langen Zeitraum ausgesetzt. Bis jetzt wissen wir noch nicht, wie wir ein Raumschiff so konstruieren können, dass es noch leicht genug ist und die Astronauten gleichzeitig vor der Strahlung schützt.

UP: Neben den körperlichen Faktoren kommt die psychische Belastung einer Weltraummission hinzu.

CP: Genau, besonders bei einem Flug zum Mars können wir die schwer einschätzen. Wir wissen nicht, wie es sich anfühlt, wenn die Erde als kleiner Punkt zwischen Millionen von Sternen verschwindet. Es ist sicher spannend zu erfahren, aber auch keine einfache Situation. Ein kleines Team von vier bis sechs Astronauten wäre in vielen Situationen völlig auf sich allein gestellt: Bei der Kommunikation mit der Erde gäbe es einen Zeitversatz von bis zu 20 Minuten.

UP: Was wäre für dich persönlich die größten Schwierigkeiten? Du hast ja in der Antarktis schon Erfahrungen gesammelt, als du über ein Jahr zusammen mit 13 anderen Forschern dort verbracht hast.

© Carmen Possnig & Cyprien Verseux – ESA/IPEV/PNRA

CP: Der menschliche Faktor ist sicher ein schwieriger, weil man ja nie genau weiß, wie die Leute im Team auf Stressfaktoren reagieren. Anderseits denke ich, dass das Team bereits vor der Mission sehr gut aufeinander eingestellt sein wird und weiß, wie Konflikte untereinander vermieden werden können – anders in der Antarktis, wo wir uns vorher noch nicht so gut gekannt haben. Menschen, die zusammen zum Mars fliegen würden, hätten auch ein gemeinsames Ziel: diesen Planeten erforschen, vielleicht Leben finden und erfahren, wie es ist, als Mensch auf einem fremden Planeten zu stehen. Diese gemeinsame Motivation ist sehr wichtig für den Teamgeist.

UP: Was fasziniert dich am meisten an dem Gedanken, ins Weltall zu fliegen?

CP: Es ist vor allem dieser Perspektivenwechsel, die Idee, die Erde einmal von oben zu sehen. Ich würde diese Erfahrung dann auch gerne weitergeben und vermitteln, wie schützenswert unser Planet ist. Mich reizt aber auch dieses Expeditionsgefühl: eine kleine Crew zu sein, die auf sich allein gestellt und aufeinander angewiesen ist, um zu überleben. Ich habe bereits in der Antarktis erlebt, dass eine solche Situation Menschen zusammenschweißt und ein sehr schönes Gemeinschaftsgefühl erzeugt.

UP: Wie wurde im Auswahlverfahren der ESA die psychische Eignung getestet? Bei einem Bürojob kann man im Assessmentcenter fast alle Situationen aus dem Arbeitsleben simulieren – für Astronauten ist das schwierig.

CP: Einerseits hatten wir persönliche Gespräche mit Psychologen. Die Gespräche waren eigentlich sehr entspannt, aber ich nehme an, dass sie sehr viel aus unseren Antworten herauslesen konnten (lacht). Dann mussten wir in Teams unter Zeitstress Aufgaben lösen. Es gab auch Aufgaben, die gar keine Lösung hatten, aber das wussten wir natürlich nicht. Es wurde dann beobachtet, ob wir uns plötzlich egoistisch verhalten, um mehr Punkte zu bekommen, oder ob wir anfangen zu streiten, wer denn nun mit seiner Lösung Recht hätte.

UP: Hattest du während des Bewerbungsverfahrens manchmal Zweifel, ob es wirklich das Richtige für dich ist?

CP: Ich habe in den verschieden Auswahlstufen viele Menschen getroffen, die auch so begeistert vom Weltraum sind wie ich. Das hat mich sehr motiviert, sodass ich nie Zweifel hatte. Es ist ja auch ein Kindheitstraum, der mir da in Erfüllung geht!

UP: Wenn du einmal deine Koffer für eine Weltraummission packen wirst, was nimmst du auf jeden Fall mit?

CP: Sicher eine gute Kamera, um schöne Fotos zu machen. Ein paar Gesellschaftsspiele zum Zeitvertreib dürfen auch nicht fehlen. Ich spiele sehr gerne Klavier, aber das ist wahrscheinlich etwas zu sperrig für ein Raumschiff (lacht). Ich habe noch eine kleine Ukulele, die würde ich dann wohl stattdessen dort oben spielen.

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