Wenn kein Vogel mehr singt 

von Sarah Embacher
Lesezeit: 5 min
Extreme Hitze, Überflutungen, Waldbrände und Bergstürze: Die Folgen des Klimawandels werden aktuell immer deutlicher, doch das Artensterben ist eine noch unterschätzte Gefahr. 

Fünf Fakten zum Artensterben

„Den Klimawandel in Europa werden wir wahrscheinlich überleben, das Artensterben nicht“, warnt der Wissenschaftsjournalist Harald Lesch. Der massenhafte Verlust von Tier- und Pflanzenarten bedroht das Überleben unserer eigenen Spezies. Die Lösungsansätze sind längst bekannt – und jeder kann selbst etwas beitragen. 

1. Die Artenvielfalt schwindet – in Österreich und weltweit

Wir befinden uns heute im größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit vor 65 Millionen Jahren. Ein Viertel der Säugetierarten, jede achte Vogelart, mehr als 30 Prozent der Hai- und Rochenarten sowie 40 Prozent der Amphibienarten sind bedroht. Derzeit gehen weltweit jährlich 11.000 bis 58.000 der ungefähr fünf bis neun Millionen Tierarten verloren. Die Menschheit hat seit 1970 etwa 60 Prozent aller Säugetiere, Vögel, Fische und Reptilien ausgerottet.

In Österreich sind rund 40 Prozent aller Tierarten bedroht. Darunter ist zum Beispiel der Schwarzspecht, der in den von Fichten dominierten Wirtschaftsforsten immer weniger Totholz findet. Der Seeadler, Österreichs Wappentier, war in den Fünfzigerjahren hierzulande ausgestorben. Inzwischen haben sich wieder 40 bis 45 Paare angesiedelt, die jedoch von illegaler Wilderei bedroht werden. Die Feldhamster wurden früher für ihr Fell gejagt, heute machen ihnen die intensive Landwirtschaft und der enorme Flächenverbrauch in Österreich zu schaffen. Bereits ausgestorben sind zum Beispiel die Europäische Wildkatze, die Alpenkrähe und der Kranich. 

2. Das Artensterben bedroht unser Überleben

In den Fünfzigerjahren wollte die Volksrepublik China den „großen Sprung nach vorn“ schaffen und den Wohlstand im Land erhöhen. Überzeugt davon, dass die Spatzen die Körner auf den Feldern wegfressen würden, begann die „Kampagne zur Eliminierung der Spatzen“. In ganz China war die Vogelart nach nur drei Tagen kollektiver Jagd quasi ausgerottet. 

Nachdem ihr natürlicher Fressfeind verschwunden war, breiteten sich riesige Heuschreckenschwärme im Land aus. In einer grausamen Hungersnot starben Schätzungen zufolge bis zu 45 Millionen Menschen. Zur Bekämpfung der Insektenplage wurden massenweise Pestizide ausgebracht. Doch die töteten nicht nur die Heuschrecken, sondern auch die Bienen. In Sichuan, dem wichtigsten Obstanbaugebiet Chinas, sind die Folgen des Insektensterbens noch heute drastisch zu spüren: Die Obstbäume müssen von Menschenhand bestäubt werden. 

Das Beispiel aus China zeigt, wie das Aussterben nur einer Art ein ganzes Ökosystem aus seinem fragilen Gleichgewicht bringen kann – mit fatalen Folgen für die Menschen. Weltweit ist die Versorgung mit Lebensmitteln, die auf Äckern angebaut werden, aus dem Meer gefischt werden oder der Wildnis entnommen werden, in Gefahr. 

3. Wir kennen die Lösungsansätze: Politik und Wirtschaft müssen handeln

Die gute Nachricht lautet, dass eine Vielzahl an Maßnahmen gegen das Artensterben bereits bekannt sind. Um zum Beispiel Meerestiere zu schützen, wollen die Vereinten Nationen durch internationale Abkommen den Plastikmüll in den Meeren reduzieren. Die Hauptverschmutzer der Meere sind global agierende Großkonzerne wie Coca-Cola, Pepsi, Nestlé und Unilever. Um diesen Giganten Einhalt zu gebieten, müssen sich Staaten weltweit zusammentun und gemeinsame Beschlüsse finden. 

Das gilt nicht nur für die Plastikverschmutzung in den Meeren: Viele Gründe für das Artensterben lassen sich auf unsere globalisierte, wachstumsorientierte Welt zurückführen. Deswegen müssen die Lösungen ebenso global und tiefgreifend ausfallen. Ein gutes Beispiel für einen solchen Schritt ist das „Nature Restoration Law“, das Renaturierungsgesetz der EU. In allen 27 Mitgliedsstaaten sollen bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresfläche saniert werden. Das heißt, dass trockengelegte Moore wieder vernässt, Wälder aufgeforstet, und Auenlandschaften renaturiert werden. Die konservative Fraktion im EU-Parlament, zu der auch ÖVP und CDU gehören, hat sich gegen das Vorhaben ausgesprochen. Dennoch hat das Gesetz diesen Juli eine knappe Mehrheit bei der Abstimmung im EU-Parlament erlangt. 

4. Im Alltag bedeutet Klimaschutz auch Artenschutz

Wer sich mit den oft schleppenden Bemühungen der Politik nicht zufriedengeben will, kann selbst etwas für den Artenschutz tun. Grundsätzlich sind die üblichen Tipps für einen klimafreundlichen Lebensstil auch hilfreich bei der Erhaltung der Artenvielfalt. Wer sich zum Beispiel vegan oder vegetarisch ernährt, reduziert seinen Fußabdruck für Biodiversität um etwa 60 Prozent. Grund dafür ist, dass Tiere häufig mit Soja aus Monokulturfeldern gefüttert werden, für die Regenwald abgeholzt wird. 

Zusätzlich kann man weniger Produkte mit hohem Wasserverbrauch, wie Avocados oder Mandeln kaufen. Der Anbau solcher Lebensmittel führt dazu, dass der Grundwasserspiegel sinkt und Böden austrocknen, sodass Tiere und Pflanzen leiden. Trockenheit und extreme Hitze, wie sie auch vom Klimawandel verursacht werden, setzen Ökosysteme unter Druck. Deswegen sind alle CO2-Einsparungen wichtig, wie etwa der Verzicht auf Konsumprodukte, Flugreisen oder Autofahrten. 

Wer konkret der Artenvielfalt vor der eigenen Haustür helfen möchte, kann das im eigenen Garten oder auf dem Balkon tun. Dort kann man zum Beispiel auf die Auswahl der angebauten Pflanzen achten: Nicht heimische Gewächse bieten oft kein Futter für Insekten wie Bienen und Schmetterlinge. Wer einen Beitrag gegen das Vogelsterben leisten will, kann im Sommer eine Vogeltränke und im Winter einen Futternapf aufstellen. Der Verzicht auf einen Mähroboter schützt Igel, da diese durch die scharfen Klingen verletzt werden können. Außerdem lohnt es sich, etwas mehr Wildnis im eigenen Garten zuzulassen: Trockenes Laub, Brennnesseln und Sträucher sind ideale Verstecke für Insekten, Vögel und Nagetiere. 

5. Die Medien müssen berichten

Die österreichische Presseagentur APA hat für die Jahre 2020 bis 2022 den Anteil an Klimathemen in Zeitungsberichten untersucht. Das Ergebnis: In Deutschland geht es in etwa 3,45 Prozent der Fälle ums Klima, das entspricht ungefähr jedem 30. Artikel. In Österreich sind es nur 1,92 Prozent, also etwa jeder 50. Artikel. In unter 0,6 Prozent, jedem 180. Artikel, schreiben Zeitungen über den Verlust der Artenvielfalt.

Angesichts dieser Zahlen ist es kaum verwunderlich, dass das Ausmaß des Artensterbens mitsamt der verheerenden Folgen kaum jemandem bewusst ist. Die Medien stehen jedoch in der Verantwortung, die Menschen auf existenzbedrohende Gefahren hinzuweisen. Dabei ist die Berichterstattung über das Artensterben eine Chance, Umweltthemen greifbarer zu kommunizieren: Wenn heimische Arten verschwinden oder Eisbären und Nashörner aussterben, geht das emotional näher als neue Zahlen zum CO2-Ausstoß. 

Weltweit lässt sich bereits beobachten, dass Klimathemen in den Medien präsenter werden. In Österreich haben Journalistinnen und Journalisten aus unterschiedlichen Redaktionen einen Klima-Kodex erarbeitet. Mehrere bekannte Medien wie die APA , Heute und die Wiener Zeitung haben diesen bereits unterzeichnet. Der Klima-Kodex beinhaltet gewisse Richtlinien, wie etwa eine angemessene Wortwahl, um das Ausmaß der Klimakrise nicht zu verharmlosen. Außerdem wird das Artensterben gemeinsam mit der Klimakrise als dringlichste Krise in diesem Jahrhundert genannt, über die ausreichend berichtet werden muss.

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